Die Forscher bitten zu Tisch

Luxembourg Institute of Science and Technology sucht Lösungen für Baustellenlogistik. Die Bevölkerung in den Städten Europas wächst. Es wird immer mehr gebaut. Luxemburg ist da keine Ausnahme. Wie kann man die negativen Auswirkungen der damit verbundenen Transporte in den Griff bekommen und gleichzeitig die Lieferkette optimieren?

Source : Luxemburger Wort
Publication date : 03/20/2018

Ein kleiner Raum in der Maison de l'Innovation in Esch-Belval. In der Mitte steht ein großer Tisch mit integriertem Bildschirm. Eine Karte der Stadt Luxemburg wird angezeigt. Cindy Guerlain und Romain Gaasch vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) setzen verschiedene Figuren auf die berührungsempfindliche Fläche. Sofort erscheinen zusätzliche Informationen.

„Hier sehen Sie vier Baustellen unseres Projektpartners Tralux und zudem die Standorte der Lieferanten für die erforderlichen Baumaterialien“, sagt Cindy Guerlain. „Und hier werden ihnen die zurückgelegten Kilometer, die Zahl der Fahrten sowie CO2 und Partikelemissionen angezeigt“, erklärt Romain Gaasch.

Lieferungen für Baustellen bündeln

Cindy Guerlain ist Forschungsingenieurin und Managerin des von der EU geförderten Projektes „SUCCESS“. Das steht für „Sustainable Urban Consolidation Centres for Construction“. Es geht dabei um nachhaltige städtische Konsolidierungszentren für Baustoffe. Das sind Umschlagpunkte, an denen Lieferungen für eine oder mehrere Großbaustellen gebündelt werden, um negative Auswirkungen des innerstädtischen Transports in den Griff zu bekommen, Kosten zu reduzieren, die Umwelt zu entlasten und die Kooperation zwischen den Akteuren der Lieferkette zu optimieren.

In ganz Europa zieht es mehr Menschen in die Städte, was Bauvorhaben und Transporte mit sich bringt. Daher erforschen die Mitarbeiter des vom LIST koordinierten Projekts, wie sich dies besser und nachhaltiger organisieren lässt.

Daten an vier Pilotstandorten in Europa gesammelt

An vier Pilotstandorten wurden daher umfangreiche Daten über den Baustellenlieferverkehr gesammelt: in Paris, in Verona, in Valencia – und in Luxemburg, auf dem Gelände der ehemaligen Brauerei Henri Funck. „Die Erhebung der Daten war eine enorme Fleißarbeit, bei der uns in Luxemburg unser Projektpartner Tralux unterstützt hat“, so Romain Gaasch, der sich um die Verbindung zur Industrie kümmert, in diesem Fall also um die Akteure des Baugewerbes. Nicht nur die Zahl der Fahrten wurde erfasst, auch die zurückgelegten Kilometer. Auch die Abgasnorm und Größe der Fahrzeuge.

Cindy Guerlain stellt derweil eine weitere Figur auf den großen Bildschirmtisch. „Jetzt sehen wir die Auswirkungen, wenn wir alle Lieferungen mit bestimmten Fahrzeugen durchführen“, sagt sie. Wählt man ein Szenario, in dem alle Baustoff-Transporte mit kleinen Fahrzeugen unter 3,5 Tonnen zu der relativ beengt liegenden Baustelle der „Brasserie de Neudorf“ gebracht werden, steigen die zurückgelegten Kilometer an. Es werden mehr Fahrten erforderlich. Der gesamte Schadstoffausstoß steigt. Entscheidet man sich hingegen nur für schwere Lastwagen über zwölf Tonnen, ist das Gegenteil der Fall, allerdings sind diese Fahrzeuge nicht optimal, um besonders schwer zugängliche Baustellen zu erreichen.

Mit einer weiteren Figur auf dem Tisch bezieht Cindy Guerlain auch die Abgasnorm mit ein. Man sieht die positiven Auswirkungen, wenn alle Fahrzeuge die Euro-6-Norm einhielten. „Durch die Kombination der von uns erfassten Daten lässt sich ein Szenario ermitteln, welche Fahrzeuge für welche Baustelle sinnvollerweise eingesetzt und von der Stadt zugelassen werden sollten“, so die Forscherin.

Dann bringt sie eine weitere Figur ins Spiel. Drei mögliche Standorte für Baustoff-Konsolidierungszentren werden plötzlich angezeigt: in Luxemburg-Hamm, Bettemburg und Senningerberg. Diese sollen nicht tatsächlich gebaut werden, wurden aber von den Forschern auf Basis der am Pilotstandort erhobenen Daten als sinnvoll ausgewählt. „Wählt man nun einen dieser Standorte an, sieht man wiederum, wie sich das auf die zurückgelegte Transportstrecke, die Zahl der Fahrten und des Schadstoffausstoßes auswirken würde. Man erkennt dabei auf dem Bildschirmtisch, dass es durchaus Sinn machen kann, Baustofflieferungen vorab an zentralen Punkten zu sammeln und dann nach Bedarf zur jeweiligen Baustelle zu befördern“, so Cindy Guerlain. Mit den verschiedenen Figuren lassen sich verschiedene Szenarien durchspielen.

Qualität der Daten maßgeblich für Einschätzungen

„Die Qualität der zu erhebenden Daten ist für uns von ganz herausragender Bedeutung, um aussagekräftige Einschätzungen treffen zu können“, betont Romain Gaasch. „Wir würden uns daher sehr wünschen, von der Stadt Luxemburg Daten zur Verkehrslage in und um die Hauptstadt zu bekommen, damit wir das einbeziehen könnten.“ Nutznießer könne doch am Ende die Stadt Luxemburg selbst sein, wenn sie in Erfahrung bringe, ob und wo ein Konsolidierungszentrum in ihrem Einzugsbereich Sinn mache. „Unsere Analyse richtet sich also nicht nur unmittelbar an Akteure des Baugewerbes“, so Cindy Guerlain. „Neben den Gemeinden, die den Baustofftransport vielleicht einhegen möchten, profitieren auch Baustofflieferanten von Konsolidierungszentren, weil sich Waren dort beizeiten zwischenlagern lassen und so termingerecht auf dem Bau eintreffen, während so etwas auf der Baustelle selbst aus Platzgründen kaum möglich ist.“

Ein städtisches Konsolidierungszentrum für Baustoffe gibt es derzeit in Luxemburg noch nicht. Wer einen solchen Umschlagpunkt einrichten könnte, steht derzeit ebenfalls noch nicht fest. Es könnte beispielsweise die Stadt sein oder auch mehrere Bauunternehmer und Lieferanten. Ein Konsolidierungszentrum könnte zeitweise aber auch dauerhaft entstehen. Vieles ist denkbar. Dazu gilt es die betroffenen Akteure an einen Tisch zu bringen und die Lage genau zu besprechen. Das vom LIST koordinierte Forschungsprojekt hat dazu eine Grundlage geschaffen.

Infoveranstaltung im Ministerium

Wer sich für diese Bau- und Innenstadtlogistik und das Projekt „SUCCESS“ interessiert, kann sich am Freitagvormittag, den 23. März 2018 eingehend darüber informieren. Das LIST lädt zu einer Informationsveranstaltung ins Ministerium für Infrastruktur und nachhaltige Entwicklung in Luxemburg-Kirchberg ein. Die Teilnahme ist kostenlos, allerdings muss man sich im Internet einschreiben.

bit.ly construction_luxembourg


ANDREAS ADAM 

 

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