Um den Kampf gegen das Coronavirus zu unterstützen, untersuchen Forscher des Forschungsinstituts LIST das Abwasser in Luxemburg nach Viren. Das Tageblatt hat sich darüber mit der zuständigen Forscherin Dr. Leslie Ogorzaly unterhalten.
Source : Tageblatt
Publication date : 08/28/2020
Das neue Coronavirus ist in vielerlei Hinsicht tückisch. In den meisten Fällen verläuft eine Erkrankung ohne Symptome, sodass es sich unerkannt verbreiten kann. Wie der Zufall es will, hinterlässt dieses besondere Virus allerdings Spuren an einem Ort, den Wissenschaftler und Behörden gut überwachen können. Das Virus, oder besser gesagt seine RNA, ist in menschlichen Exkrementen nachweisbar und kann deshalb in Kläranlagen gefunden werden.
Die Forschungseinrichtung LIST beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit Abwässern und den Viren, die sich darin befinden. Normalerweise gehen die Forscher Viren nach, die Magen-DarmEntzündungen oder andere Infektionen des Verdauungstrakts auslösen können. Die Methode ist längst nicht für alle Viren geeignet, wie die Projektleiterin Leslie Ogorzaly gegenüber dem Tageblatt erklärt. Sie ist Mitglied der Gruppe für Mikrobiologie im Umweltbereich am LIST. Sars-CoV-2 ist ein Virus, das die Atemwege befällt. Die Wissenschaftler waren sich anfangs nicht sicher, ob es in menschlichen Exkrementen nachweisbar ist. Zur Freude der Wissenschaftler lässt es sich so nachweisen. Das sei recht
ungewöhnlich für Viren, die sich in den Atemwegen festsetzen, sagt Ogorzaly. Sobald die Wissenschaftler diese Information hatten, machten sie sich auf die Spurensuche.
Luxemburg ist nicht das einzige Land mit einem solchen Projekt. Weltweit haben die Forscher die Idee aufgegriffen und tauschen sich gegenseitig darüber aus. Die bestehenden Methoden mussten eilig auf das neue Virus abgestimmt werden. „Dieses Virus unterscheidet sich sehr von den Magen-Darm-Viren, die wir normalerweise untersuchen“, so Ogorzaly.
Blick in die Vergangenheit
Die Wissenschaftler des LIST arbeiten Hand in Hand mit dem Personal der Kläranlagen (und den zuständigen Ämtern) in Luxemburg. Das Sammeln einer Probe findet über den ganzen Tag verteilt statt. Das Aufkommen an Abwasser verläuft unregelmäßig. Zu manchen Tageszeiten kommt mehr Abwasser in den Kläranlagen an als zu anderen. „Wir haben Apparate, die die Proben automatisch sammeln. Alle fünf oder zehn Minuten werden einige Milliliter Wasser gesammelt.“ Die Intervalle und die Menge, die gesammelt wird, können die Wissenschaftler einstellen. So entsteht eine Probe, die das Geschehen in der Kläranlage an einem Tag abbildet. Einmal gesammelt, liefert die Methode, mit der die Forscher die gesammelten Proben untersuchen, relativ schnell Ergebnisse. „Wenn die Proben im Labor ankommen, können wir innerhalb von 24-48 Stunden ein Resultat liefern“, so die Wissenschaftlerin.
Durch einen „Zufall“ können die Forscher sogar in die Vergangenheit blicken. Für ein anderes Projekt hatten sie Proben gesammelt und eingefroren. Diese Proben reichen bis in den Sommer des letzten Jahres zurück. Durch diese rückblickende Analyse konnten die Forscher nachweisen, dass das neue Coronavirus spätestens zum 24. Februar in Luxemburg angekommen war. Also bevor der erste Covid19-Fall offiziell dokumentiert worden ist. Die Forscher konnten in ihren gesammelten Daten auch beobachten, wie die Zahl der Infizierten Mitte Mai abgenommen hat – in einigen Kläranlagen war das Virus zwischen dem 15. Mai und dem 15. Juni nicht mehr nachweisbar – um dann zurückzukehren.
Für die Auswertung benutzen die Forscher im Grunde die gleiche PCR-Methode, wie sie auch bei Rachenabstrichen angewandt wird. Sie erlaubt es, die RNA – also den genetischen Bauplan des Virus – aufzuspüren. „Wenn wir das Genmaterial finden, können wir nicht sagen, ob das Virus noch infektiös ist oder nicht“, so die Forscherin. Damit das Virus nachweisbar ist, muss genügend genetisches Material im Abwasser vorhanden sein. Dafür reichen die Exkremente einer einzelnen erkrankten Person nicht aus. Mehrere Personen müssen im Einzugsgebiet der Anlage infiziert sein, damit das Virus nachweisbar ist.
Heute sammeln die Forscher Daten aus Kläranlagen im ganzen Land. Diese Beobachtungen bestätigen unter anderem das Bild, dass es mehr CovidFälle im Süden des Landes gibt als in anderen Regionen. Und: „Wir haben vier Kläranlagen – zum Großteil im Süden – ausgemacht, in denen die Konzentrationen immer größer sind als überall sonst.“ Die Ergebnisse der „Coronastep+“-Studie werden der Regierung mitgeteilt, die diese dann in ihre Entscheidungen einfließen lassen kann. Ogorzaly versteht ihre Arbeit als komplementär zu den Untersuchungen, die in allen Bereichen durchgeführt werden. „Unsere Schlussfolgerungen untermauern die Zahlen der klinischen Untersuchungen. Das erhöht die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die getroffenen Entscheidungen“, so die Forscherin.
Frühwarnsystem
Geht es nach Ogorzaly, dann können Kläranlagen als eine Art Frühwarnsystem genutzt werden. Etwaige Ausbrüche einer Krankheit können so festgestellt werden, noch bevor Ärzte die ersten Fälle in der Bevölkerung sehen. „So kann Alarm geschlagen werden und die Behörden werden gewarnt, dass sich potenziell ein neues Virus oder eine andere Krankheit anbahnt.” Dann könnten Maßnahmen getroffen werden, damit sie sich nicht ausbreitet. Dabei ist es laut Ogorzaly auch möglich, Viren zu finden, die neu und noch nicht bekannt sind. Einzige Bedingung ist, dass sie in menschliche Exkrementen vorhanden sind.
Ein zweiter Vorteil dieser Art von Untersuchung ist, so Ogorzaly, dass sie wesentlich günstiger ist, als die Bevölkerung großflächig zu testen. Anhand von wenigen Proben aus einer Kläranlage können die Wissenschaftler erkennen, ob es Infizierte im Einzugsgebiet einer Kläranlage gibt, ohne alle Personen durchzutesten. Das dürfte auch Regierungen gefallen, meint Ogorzaly.
Yves Greis