Das Abwasser läuft in die Kanalisation und wird danach zentral in der Kläranlage behandelt. So kennen wir es heute. Doch in Luxemburg arbeiten Forscher und Unternehmer an Alternativen, die besser für die Umwelt sind und außerdem noch Geld einbringen.
Source : Luxemburger Wort
Publication date : 03/22/2017
Das heutige Konzept der Kanalisation – sprich das „tout-à-l'égout“ – wurde in Luxemburg ab Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführt. Heute erreicht dieses System seine Grenzen: Hohe Nitratbelastungen durch die Landwirtschaft, Rückstände von Medikamenten, und knappe Kapazitäten der Kläranlagen sind die Hauptprobleme. Nicht zuletzt die Blaualgenplage im Stausee vergangenen September zeigte die Probleme.
Die Vision der Zukunft ist dagegen, dass Neubaugebiete, Bürogebäude oder Landwirtschaftsbetriebe eigene Anlagen bekommen, die das Abwasser an Ort und Stelle reinigen.
80 Prozent Trinkwasser
Das Luxemburger Start-up-Unternehmen Ama Mundu baut solche Filteranlagen bereits heute. Die Technik dahinter heißt Nanofiltration: Das Wasser wird auf der Ebene der Moleküle von den restlichen Stoffen getrennt, erklärt Michel Reckinger. Der Präsident der Fédération des Artisans hat die Firma 2015 mit Marcel Wilwert und dem französischen Experten Emmanuel Trouvé gegründet. „Die Technik behandelt Abwasser aus Haushalten über Regenwasser bis Gülle“, so Reckinger.
Die Anlage von Ama Mundu erlaubt es, die Gülle um 80 Prozent zu reduzieren, indem ihr das Wasser entzogen wird, das am Ende Trinkwasserqualität hat. „In den restlichen 20 Prozent können wir Phosphate und Nitrate herausfiltern, die als Dünger eingesetzt werden können“, erläutert Michel Reckinger. Übrig bleiben ganz zum Schluss Fasern, die zu Briketts gepresst werden oder als Streuersatz in Ställen dienen können. Das gleiche Prinzip lässt sich auf die Gärreste von Biogasanlagen anwenden. Die Biogasanlagen von Kehlen und Beckerich haben bereits Filteranlagen bestellt, die noch dieses Jahr gebaut werden, sagt Reckinger. Auch für die Kläranlage in Waldbillig sei eine Maschine vorgesehen.
Die Technologie sei schon länger bekannt, jedoch habe die Anlage von Ama Mundu den Vorteil, dass sie deutlich weniger Energie verbrauche, so Reckinger. „Wir haben sechsstellige Beträge in die Entwicklung investiert“, betont er.
Dünger aus dem Urin
Auch das Forschungsinstitut List ist an Projekten beteiligt, die die Abwasserbehandlung effizienter gestalten wollen. „Wir waren daran beteiligt, eine Technik zur Phosphatgewinnung aus Urin weiterzuentwickeln“, erklärt der Leiter der Abteilung „Lebenszyklus, Nachhaltigkeit und Risikobewertung“ Enrico Benetto. Solche Anlagen könnten in Zukunft sowohl in Bürogebäuden als auch in Kläranlagen genutzt werden, betont er.
Wie die Anlage von Ama Mundu schreibt sich dieses Projekt in die Kreislaufwirtschaft ein. „Phosphor ist eine begrenzte Ressource, denn in den nächsten 50 Jahren könnte dieser Düngerrohstoff knapp werden“, erklärt der Agraringenieur Jean Stoll.
Das List forscht ebenfalls an einem Projekt, das etwa der Papier- und Stahlindustrie erlauben soll, das für ihre Produktion nötige Wasser in einem geschlossenen Kreislauf zu nutzen. Dabei wird das Abwasser aufbereitet und wiederverwendet ohne dass neues Grundwasser genutzt wird.
Hohe Infrastrukturhürden
Mehrere Faktoren erklären aus der Sicht von Enrico Benetto, warum solche Modelle sich in den letzten fünf Jahren vermehrt hätten. Einerseits verbessert sich die Technik ständig, andererseits steigen die Kosten für die Abwasserbehandlung. „Wir müssen neue Geschäftsmodelle entwickeln, die das Abwasser zur Ressource werden lassen“, betont Benetto.
Doch die neuen Modelle stehen vor einem großen Problem. Damit der Urin zum Beispiel verwertet werden kann, muss er durch gesonderte Leitungen transportiert werden. Es wird also eine neue Infrastruktur gebraucht, um die Abwasserbehandlung zumindest teilweise zu dezentralisieren und so die Kläranlagen zu entlasten.
„Diese Modelle sind realisierbar“, glaubt Jean Stoll, der Mitglied im nationalen Nachhaltigkeitsrat ist. Doch er bleibt skeptisch, ob sie der richtige Weg sind: „Die Technik korrigiert vor allem eine falsche Landwirtschaftspolitik“, betont er. Sinnvoller sei es, die Landwirtschaft so zu gestalten, dass gesunde Böden den natürlichen Nährstoffkreislauf selbst erhalten. Die Rifkin-Studie an der Jean Stoll beteiligt war, plädierte deshalb in Luxemburg komplett auf Biolandwirtschaft umzustellen – vor allem für den Wasserschutz.
Mit dem Ende des „tout-à-l'égout“ gewinnt die Umwelt dennoch, weil das Abwasser bestenfalls dort behandelt wird, wo es anfällt. Doch die Herausforderungen werden ebenso groß wie vor hundert Jahren, als die heutige Kanalisation gebaut wurde.
LAURENT SCHMIT