Mehr als nur Technologie

Jorge Sanz hat bereits auf vier Kontinenten gearbeitet – von Kalifornien, wo er für IBM forschte, bis zu Singapur. In Luxemburg baut er nun das Forschungszentrum „Finance Innovation Technology and Systems“ (FITS) auf. Im Interview erklärt er, wie die Digitalisierung im Finanzsektor gelingen kann.

Source : Luxemburger Wort
Publication date : 06/13/2017

 

Professor Jorge Sanz, heute ist Big Data in aller Munde, doch die wenigsten wissen genau, um was es geht. Was ist Ihre Definition?

Das stimmt, es ist ein Modewort, ähnlich wie Fintech. Big Data ist ein Phänomen, das entsteht, wenn viele Personen mit Organisationen über ein digitales Gerät kommunizieren. Dabei entstehen digitale Daten, die sich ansammeln bis sie eine große Menge erreichen – sprich Big Data.

Muss es immer „big“ sein?

Nein, das ist nicht das Relevanteste an unserer Arbeit für den Finanzsektor. In Sachen Volumen und Geschwindigkeit können Finanztransaktionen nicht mit etwa Verkehrsnutzung verglichen werden, wo viele Daten pro Sekunde entstehen. „Small Data“, „Medium Data“ und „Big Data“ gehören jedoch für mich zur gleichen Familie von Möglichkeiten. Die Technik, die Modelle, die Komplexität sind sehr ähnlich, unabhängig von der Größe.

Wie nennen Sie ihre Arbeit?

Ich bevorzuge den Begriff „Business Analytics“. Es geht eben um mehr als sich nur eine Tabelle mit Zahlen anzuschauen. Die Geschäftsmodelle der Unternehmen stehen im Zentrum und nicht die Daten.

Was sind die Herausforderungen für ein Unternehmen, das eine solche Analyse lancieren möchte?

Es ist sehr viel Arbeit, Daten für die Analyse aufzubereiten. Es geht darum, zu verstehen, was man in den Daten sieht und woher sie kommen. Erst dann kommt die Analyse, um aus den Daten Erkenntnisse zu gewinnen. Und schließlich geht es darum, diese Einsichten im Tagesgeschäft umzusetzen und Geld damit zu verdienen.

Warum ist die Aufbereitung der Daten so wichtig?

Viele glauben, dass es reicht einen Datensatz mit statistischen Modellen zu bearbeiten, um Erkenntnisse zu gewinnen. Das klappt jedoch nur bei einfachen Systemen, etwa um vorauszusagen, wann eine Rolltreppe in einer U-Bahn-Station gewartet werden muss. Sobald Menschen involviert sind, klappt das nicht. In jedem Unternehmen gibt es unzählige Abläufe, die die anfallenden Daten beeinflussen aber nicht darin auftauchen. Wenn Sie diese nicht verstehen, dann werden Sie zu Ergebnissen kommen, die zu sehr vereinfacht sind.

Und später kann es nicht in der Praxis umgesetzt werden, weil der Kontext fehlt …

Das Scheitern beim Umsetzen im Tagesgeschäft kommt tatsächlich meist dadurch, dass die Praxis nicht verstanden wurde. Das ist besonders wichtig im Finanzsektor, wo die Prozesse sehr komplex sind. Es ist ein Zusammenspiel von Menschen, Praktiken und Technologie. Letzteres treibt die Innovation und die Kostensenkung an. Doch wurde die Finanzkrise von 2008 durch einen Mangel an Technologie verursacht? Nein, es waren die Menschen.

Das heißt, neue Technologie, sprich Fintech, reicht nicht?

Man verspricht uns seit 15 Jahren eine Fintech-Revolution, doch bisher ist wenig passiert. Die Probleme sind eben meist nicht rein technologisch: Ich rufe jetzt einen Kundenberater bei der Bank an und will eine Transaktion machen. Schaue ich später in meiner Bank-App nach, werde ich da nichts sehen und genauso wenig am Bankautomaten. Das ist kein technologisches Problem, sondern die Qualität der Dienstleistung leidet, weil die Kommunikationskanäle nicht vernetzt sind. Banken geben weltweit mit am meisten für Technologie aus, aber es braucht mehr. Das wollen wir an unserem Forschungszentrum ändern.

Wie wollen Sie etwa der Fondsindustrie helfen?

Es geht nicht um eine Revolution gegen etablierte Akteure, sondern es ist eine engere Zusammenarbeit mit und zwischen ihnen. Die Fondsindustrie leidet unter einem hohen Kostendruck. Um die Einkünfte zu erhalten, bleibt also nur das Geschäftsvolumen zu erhöhen oder mehr Dienstleistungen zu schaffen. Wir helfen neue Dienstleistungen zu entwickeln – über die Analyse der Transaktionen. Es ist nicht nur auf die Technologie basiert, sondern es ist eine Arbeit, die viele Spezialisten zusammenführt: Nicht nur Informatiker, sondern auch Ingenieure, Sales- und Marketingprofis, Juristen …

… weil es etwa auch um Datenschutz geht …

Genau, es geht um Datenschutz aber auch um das Bankgeheimnis. Aus diesem Grund beschäftigen sich Banken seit Jahrzehnten mit Verschlüsselung. Dazu kommen die gesetzlichen Regeln: Man kann nicht einfach vom Vertrag auf Papier zur digitalen Version wechseln.

Was wollen sie in Luxemburg erreichen?

Ich will kleinen und mittleren Unternehmen helfen, innovative Ideen schneller umzusetzen und so ihre Produktivität erhöhen. Mit den einen werden wir auf Augenhöhe zusammenarbeiten, andere werden wir an die Hand nehmen müssen. Das Interesse ist definitiv da: Wenn ein Generaldirektor Sie anruft, dann wissen Sie, dass die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt haben.

 

 

Neues Zentrum für Finanzinnovation
st sollen Endes Jahres 60 Forscher an neuen Technologien arbeiten

Es ist ein Paradox: Der Finanzplatz trägt zu einem Drittel der Wirtschaftsleistung des Landes bei, doch die angewandte Forschung hält sich in diesem Bereich in Grenzen. Ein neues Forschungszentrum soll das ändern. Das „Finance Innovation Technology and Systems Centre“ (FITS ) ist am „Luxembourg Institute of Science and Technology“ (List) in Belval angesiedelt.

Die treibende Kraft dahinter ist der US-Amerikaner Jorge Sanz, der 2012 bei IBM zum weltweit Verantwortlichen für Innovation im Bankensektor ernannt wurde. „Ich will meine Erfahrung nutzen, um einen wirtschaftlichen Mehrwert für Luxemburg zu schaffen“, sagt er im LW-Interview. Das FITS-Zentrum wird deshalb sehr eng mit hierzulande angesiedelten Finanzakteuren zusammenarbeiten und so genau auf deren Bedürfnisse ausgerichtet sein. „Ich will eine zupackende Forschung, die wissenschaftlich relevant ist und den beteiligten Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil bringt“, so Sanz.

Aktuell arbeiten knapp 25 Forscher für die neue Einheit. Sanz hat als Ziel, diese Zahl bis Ende des Jahres auf 60 zu erhöhen. Finanziert sollen diese zusätzlichen Mitarbeiter durch Partnerschaften mit Unternehmen und Ministerien. Das List arbeitet bereits heute mit der Finanzaufsicht CSSF und der Datenschutzbehörde CNPD zusammen.

Das Zentrum soll in vier Feldern aktiv sein: der Fondsindustrie, der Vermögensverwaltung, der Risikobewertung und Buchhaltung sowie der Einhaltung von gesetzlichen Regeln.

Doch die Entwicklung von IT-Plattformen steht im Zentrum. So sollen etwa Cloud-Dienste auch für kleinere Firmen zugänglich werden. Unternehmen können Informationen in Echtzeit bekommen für die es sonst Monate dauern würde. Arbeitsplätze würden so nicht verloren gehen, betont Sanz, im Gegenteil. „Das schafft einen Mehrwert in Milliardenhöhe“, so Sanz weiter.


INTERVIEW: LAURENT SCHMIT

 

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