Mit der sechsteiligen Serie zum Klimawandel macht das Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) Wissenschaft greifbar. Die Forscher sind es, die die Zahlen hinter Themenbereichen wie Trockenheit, Überschwemmungen, Landwirtschaft, Weinbau, Biodiversität oder Zustand der Wälder liefern. Und sie verheißen nichts Gutes, wie Messdaten aus 175 Jahren belegen.
Source : Tageblatt
Publication date : 06/20/2024
Das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Otto Normalbürger ist schwierig. Es ist eine Herausforderung, dem akademischen Sprachgebrauch zu folgen – zu wenig allgemeinverständlich, obwohl wichtig. Viele steigen frühzeitig bei der Lektüre von Publikationen aus. Dabei liefern gerade die Forscher die Daten, mit denen Umwelt- und Naturschutzverbände oder Klimaaktivisten argumentieren, wenn es um das Thema Klimawandel geht.
Am letzten, dem 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates, der im März 2023 vorgestellt wurde, haben Hunderte von Wissenschaftlern weltweit mitgearbeitet und wichtige Ergebnisse geliefert. Über Berührungsängste hilft das nicht hinweg. „Wir müssen aus unserem Elfenbeinturm heraus“, sagt Lucien Hoffmann (63), wissenschaftlicher Direktor des LIST, mit seinen 700 Mitarbeitern. Der Satz bekommt erst recht Bedeutung, wenn Hoffmann über Daten zum Wetter in Luxemburg spricht.
Bodson und Reuter
Das Land ist in der stolzen Situation, auf Messwerte über 175 Jahre zu verfügen. Wetter ist nicht dasselbe wie Klima. „Wenn man über den Klimawandel sprechen will, braucht man sehr lange Zeitreihen mit Messungen zum Wetter“, sagt Hoffmann. Die gibt es, und zwar von der Stadt Luxemburg seit 1838. Nicolas Bodson unterrichtet Physik und Mathematik am Athénée-Lyzeum und liefert in dem Jahr erste Daten. 1854 übernimmt sein Kollege François Reuter die Beobachtung des Wetters in der Hauptstadt. Der Chemielehrer beobachtet schon damals unter anderem die Regenmenge pro Quadratmeter, was in Zeiten von Starkregen und Überschwemmungen heute so aktuell wie nie ist. Temperatur, Wind und Regenfälle sind seitdem durchgängig dokumentiert und machen den Wandel deutlich.
Der Wald leidet
Mit diesen Daten arbeiten die Wissenschaftler am LIST, denn der Klimawandel macht vor Luxemburg nicht Halt. Gleichzeitig nehmen die Daten und die Schlussfolgerungen daraus allen anderslautenden Behauptungen den Wind aus den Segeln. „Mit den Messungen seit 1838 können wir zeigen, dass die Temperatur seitdem kontinuierlich angestiegen ist“, sagt Hoffmann. „Die zehn wärmsten Jahre im Land waren in den letzten 20 Jahren von den 175 Jahren.“
Das heißt in der Periode ab der Jahrtausendwende. Und noch etwas zeigen die Langzeit-Messungen: „Die Tage, an denen es regnet, werden im Verlauf der 175 Jahre weniger, aber die Menge bleibt gleich“, sagt der LIST-Direktor. Die Konsequenzen sind Starkregen mit Überschwemmungen, Kanalsysteme, die auf Starkregen nicht ausgelegt sind, Dürren infolge von großer Hitze und damit einhergehender Trockenheit, Tier- und Pflanzenarten sterben aus und der Wald leidet.
35,5 Prozent der Landesfläche sind mit Wald bedeckt. Noch. Davon gehören 9.950 Hektar dem Staat, 30.900 Hektar den Gemeinden, 49.400 Hektar sind in Privatbesitz. „Der Wald leidet“, sagt Hoffmann. Die Trockenheit vor allem der letzten Jahre hat ihm zugesetzt, er wird nicht mehr mit genügend Wasser versorgt. „Viele Bäume hatten schon im Sommer braune Blätter“, sagt Hoffmann. „Das Waldsterben nimmt zu.“
Tatsachen wie diese sind spätestens seit der Pressekonferenz der damaligen Umweltministerin Joëlle Welfring („déi gréng“) bekannt, die im September 2023 in Vorbereitung auf das neue Waldgesetz stattgefunden hat. Die Zahl der stark geschädigten und absterbenden Bäume nimmt im Zeitraum 2019 bis 2023 signifikant zu. Für die Studie des Ministeriums wurden 1.176 Bäumen, in öffentlichem und privatem Besitz, an 51 Stellen im Land untersucht.
Besonders schlimm sieht es für die Buche aus, von denen keiner der untersuchten Bäume als gesund eingestuft werden konnte. Auch bei Eichen und anderen Laubbäumen nimmt die Zahl der gesunden Bäume laut Studie des Ministeriums aus dem Jahr 2023 ab. Damals galt und gilt heute noch neben anderen Maßnahmen vor allem die Devise: aufforsten.
LIST-Direktor und Botaniker Hoffmann gibt zu bedenken: „Ein Baum, den wir heute pflanzen, steht hundert Jahre da“, sagt er. „Da muss man aufpassen, was aufgeforstet wird.“ Er plädiert für das, was auch aus der Forstwirtschaft hin und wieder zu hören ist, nämlich Mischwälder. Vor diesem Hintergrund und all der bekannten Tatsachen stimmt die Feststellung des LIST-Direktors umso nachdenklicher, dass spätestens während der Wahlen der letzten beiden Jahre der Klimawandel in der Politik keine große Rolle mehr gespielt hat.
Wiebke Trapp