Zutaten aus der Hexenküche

Forscher erklären, warum Starkregen so schwer vorherzusagen ist und in Zukunft wohl häufiger auftritt.

Source : Luxemburger Wort
Publication date : 05/26/2021

 

Er tritt unvermittelt auf, betrifft meist nur ein kleines Gebiet und kann in einer Viertelstunde große Verwüstungen anrichten: Starkregen bleibt trotz intensiver Erforschung in Luxemburg und anderen Ländern ein Phänomen mit vielen Fragezeichen.

Trotz moderner Techniken wie Regenradar und einem im Luxemburg äußerst dicht ausgebauten Netz von Messgeräten lassen sich sintflutartige Regenfälle, wie sie im Juli 2016 im Gebiet der Weißen Ernz und im Juni 2018 an der Schwarzen Ernz niedergingen, nur schlecht voraussagen. „Wir erkennen zwar schon im Voraus, wenn Gewitterzellen eine große Regenmenge mit sich bringen. Aber den Zeitpunkt und den genauen Ort können wir nach dem heutigen Kenntnisstand nicht vorhersagen“, erklärt Claude Meisch, Projektleiter beim Wasserwirtschaftsamt und Spezialist für Starkregen. Er trug die neuesten Erkenntnisse der Luxemburger Starkregenforschung auf einer Online-Konferenz des Natur- und Geoparks Mëllerdall vor.

Eine Frist von 40 Minuten

Während man Hochwasser bei großen Flüssen wie etwa der Mosel mit heutigen Mitteln etwa 24 Stunden im Voraus prognostizieren kann, beträgt die Vorwarnzeit bei kleinen Bächen, die bei Starkregen schnell anschwellen, im besten Fall 40 Minuten, sagte Meisch.

Als Reaktion auf die Überflutungen im Luxemburger Osten hat das Wasserwirtschaftsamt in Zusammenarbeit mit der Luxemburger Post zum Beispiel ein Netz von Messgeräten im Tal der Weißen Ernz installiert. Sie können ihre Daten zu Regenmengen, Temperatur und Bodenfeuchte auch bei Stromausfall per Funk senden.

Außerdem hat das Wasserwirtschaftsamt eine Starkregen-Simulation für das ganze Land erstellt. Anhand eines Geländemodells wird dort klar, welche Flächen bei Starkregen überschwemmt werden und in welche Richtung das Wasser abfließt. Die Starkregenkarten sind auf Geoportail.lu für alle Bürger einsehbar.

Der Hydrologe Laurent Pfister vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) hat die beiden Sturzfluten von 2016 und 2018 genau unter die Lupe genommen. Seiner Einordnung nach waren die beiden Überschwemmungskatastrophen auch deshalb ungewöhnlich, weil Bäche und kleine Rinnsale im Sommer für gewöhnlich nicht so stark anschwellen.

„Im Sommer saugt der Boden mehr Regenwasser auf, außerdem puffert die Vegetation einen Teil der Niederschläge ab, so dass die Reaktion der Bäche im Sommer nicht so stark ausfällt“, sagte Laurent Pfister. Im Fall der Weißen und Schwarzen Ernz waren die Niederschläge aber derart massiv, dass die Oberfläche des Bodens bereits nach einigen Minuten vollgesogen war und kein weiteres Wasser mehr aufnehmen konnte. Die Folge: Das Wasser suchte sich in Form von Sturzbächen seinen Weg, überschwemmte Straßen und Keller und drückte Hauswände ein.

Gefahr bei sanftem Wind

Die Hydrologin Judith Meyer forscht am LIST über die Entstehung von Sturzfluten. Die „Zutaten“ für ein Starkregenereignis sind ihren Ergebnissen zufolge eine instabile Atmosphäre, hohe Luftfeuchtigkeit und vor allem niedrige Windgeschwindigkeiten. Nämlich nur, wenn sich die Gewitterzellen kaum bewegen, gehen die enormen Regenmengen auf kleinem Raum nieder. Bei stärkerem Wind oder Sturm würde sich der Regen auf viel größerer Fläche verteilen – ein einzelner Ort bekäme dann weniger ab.

Nach Judith Meyers Erkenntnissen ist mit fortschreitendem Klimawandel auch in Luxemburg häufiger mit Starkregen zu rechnen: „Die Veränderung der Atmosphäre begünstigt Gewitterzellen. Trotzdem gibt es auch weitere Faktoren, wie zum Beispiel die Bodenversiegelung.“

VOLKER BINGENHEIMER

 

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