„Das Abwasser lügt nicht“

Wie Forscher über die Zuflüsse von Kläranlagen die Entwicklung der Pandemie verfolgen

Source : Luxemburger Wort
Date de publication : 09/02/2021

 

In einer Glasflasche befinden sich die Informationen über das Infektionsgeschehen. Das Behältnis, das Henry-Michel Cauchie, einer der beiden Leiter der Coronastep-Studie des Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST), in seinen Händen hält, enthält eine Probe des Zuflusses der Kläranlage in Schifflingen. Über 24 Stunden wurde das Wasser gesammelt, nun soll es Hinweise dazu liefern, wie verbreitet das Corona-Virus unter den rund 68 000 Einwohnern ist, die an die Anlage angeschlossen sind.

Seit Ende des vergangenen März entnehmen die Forscher des LIST mindestens einmal wöchentlich solche Proben an mehreren Kläranlagen des Landes, um sie auf Die Virologin Leslie Ogorzaly ist eine der beiden Leiter der Corona-Step-Studie. Rückstände des Virus zu untersuchen. Zwar handelt es sich bei Covid-19 um eine Krankheit, die hauptsächlich die Atemwege betrifft. Die Viren verbreiten sich allerdings bei einer Infektion im gesamten Körper – ein Teil von ihnen wird dann auch wieder über den Darm ausgeschieden und landet so schließlich im Abwasser.

Die Auswertung der Zuflüsse der Kläranlagen kann somit neben der großflächigen Anwendung von herkömmlichen Corona-Tests zusätzliche Informationen über die Verbreitung des Virus liefern. Die Studie übernimmt dabei eine komplementäre Rolle. Die ausgewerteten Daten sollen Infektionstrends bereits frühzeitig erkennen können. Sie erfassen nämlich unter anderem auch Rückstände von Virus-Trägern, die aus verschiedenen Gründen noch kein positives Testresultat haben – zum Beispiel, weil sie trotz einer Infektion noch keine Symptome zeigen. Zwischen der Dynamik der festgestellten Viruslast und der registrierten Neuinfektionen durch reguläre Tests bestehe denn auch eine Korrelation, unterstreicht Henry-Michel Cauchie. Auch verschiedene Corona-Varianten könnten über das Abwasser identifiziert werden.

Die Einwohner im Blick

„Das Abwasser lügt nicht“, betont der Wissenschaftler. Die Studie liefert vor allem Hinweise auf die Situation bei den Einwohnern des Landes. Die zahlreichen Grenzgänger, die Tag für Tag nach Luxemburg kommen, würden nur wenige relevanten Spuren im Abwasser hinterlassen. Diese werden nämlich über den Darm und nicht über den Urin ausgeschieden.

Dass die Studie vor allem die Einwohner erfasst, habe sich unter anderem auch während der Urlaubsperioden, wie etwa im Sommer oder über die Weihnachtsfeiertage, gezeigt. Obwohl in dieser Zeit weitaus weniger Grenzgänger in Luxemburg zugegen waren, seien keine bedeutenden Schwankungen bei den Resultaten festgestellt worden.

Derzeit nehmen die Forscher die Zuflüsse von 13 Kläranlagen mindestens einmal die Woche unter die Lupe. Dies erlaubt es den Wissenschaftlern, die Abwässer von rund 445 300 Einwohnern des Großherzogtums – also mehr als 70 Prozent der Gesamtbevölkerung – zu untersuchen. Eine bedeutende Infektionsgefahr geht von den Virusrückständen im Abwasser im Grunde nicht aus, erklärt Henry-Michel Cauchie.

Denn bis das Wasser aus den Haushalten in die Kläranlagen gelangt, habe der Zersetzungsprozess des Virus bereits eingesetzt – auch, wenn es zu diesem Zeitpunkt immer noch nachweisbar sei. Nachdem die Behandlung in der Anlage abgeschlossen sei, seien des Weiteren überhaupt gar keine Rückstände mehr feststellbar. Um dem Virus auf die Spur zu kommen, müssen die Abwasserproben in die Labore des LIST in Beles gebracht werden. Dort kommen dann erprobte Labortechniken zum Einsatz, wie Projektleiterin Leslie Ogorzaly erklärt.

Durch Zentrifugation wird das Wasser zunächst von störenden Rückständen bereinigt. Daraufhin wird die Probe einem weiteren Filtrationsverfahren unterzogen, der sogenannten Ultrafiltration. Das Wasservolumen der Probe wird dabei deutlich reduziert, während die Viruslast unverändert bleibt. Somit erhalten die Forscher eine hochkonzentrierte Probe, die Viren lassen sich in der Folge leichter nachweisen.

Abschließend folgt ein Verfahren, das unter anderem auch bei Mund-RachenAbstrichproben im Zuge des Large Scale Testing zum Einsatz kommt. Die sogenannte Polymerase-Kettenreaktion (PCR) erlaubt es den Forschern, charakteristische Gene des Corona-Virus innerhalb der Probe zu identifizieren. So lässt sich die Konzentration der Viren im Abwasser sehr genau bestimmen.

Die Ergebnisse der Analysen der einzelnen Proben werden schließlich verarbeitet. Dabei werden auch mögliche Störfaktoren wie starke Niederschläge berücksichtigt. Am Ende ergibt sich schließlich ein Überblick über die Gesamtsituation in Luxemburg – eine Bestandsaufnahme, die die Forscher dann auch veröffentlichen (siehe Kasten).

Luxemburg als Vorbild

Das Großherzogtum spielt bei der Auswertung seiner Abwässer eine Vorreiterrolle, betont Henry-Michel Cauchie nicht ohne Stolz. Nur wenige andere Länder der Europäischen Union würden solche Untersuchungen vergleichbar systematisch durchführen. Auf europäischem Niveau gebe es aber Pläne, dies zu ändern. Dabei sollen Methoden des LIST als Vorbild dienen.

Die Wissenschaftler des LIST können nämlich bereits auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken. Seit 2005 werden die Abwässer hierzulande auf Rückstände von Krankheitserregern, wie zum Beispiel Viren der Gastroenteritis, zu Forschungszwecken untersucht. Im Zuge des Corona-step-Projekts hatten die Forscher denn auch Zugriff auf ältere konservierte Proben, anhand derer das Corona-Virus erstmals am 25. Februar 2020 in der Kläranlage in Schifflingen nachgewiesen werden konnte. Also wenige Tage bevor der erste offizielle Fall in Luxemburg bekannt wurde …

Aber auch alle aktuellen Proben werden konserviert und sollen später nochmals analysiert werden. „So können wir später herausfinden, welchen Einfluss die CoronaPandemie auf die Verbreitung anderer Krankheiten, wie zum Beispiel der Grippe, hatte“, betont Henry-Michel Cauchie.

Maximilian Richard

 

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