Der Wunderstoff

Forscher und Unternehmen aus Luxemburg wollen der Wasserstoffwirtschaft zum Durchbruch verhelfen

Source : Luxemburger Wort
Date de publication : 09/07/2020

 

Die Idee, dass Wasserstoff der Energiespeicher der Zukunft sein soll, ist nicht gerade neu. Bereits 1839 ersann der britische Physiker William Robert Grove die Brennstoffzelle, in der Wasserstoff und Sauerstoff so miteinander reagieren, dass elektrische Energie freigesetzt wird. Auch der umgekehrte Prozess, Wasser mit Hilfe von elektrischem Strom in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen, ist eine Idee des 19. Jahrhunderts: 1874 beschrieb Jules Verne in seinem Roman „Die geheimnisvolle Insel“ zum ersten Mal den „Elektrolyse“ genannten Vorgang einem Massenpublikum. Seither schwappen immer wieder kurzlebige Wellen der Begeisterung für die Technologie mit hohen Investitionen durch Wissenschaft, Politik und Wirtschaft, die von Phasen der Ernüchterung abgelöst werden, wenn sich die Technologie dann doch nicht durchsetzen konnte. Der Hauptgrund dafür: Trotz massiver Investitionen in die Forschung ist es bisher nicht gelungen, die hohen Kosten zu senken.

Neuer Optimismus

Trotz des ausbleibenden Erfolgs macht sich aktuell neuer Optimismus in Bezug auf Wasserstoff breit. Politiker und Unternehmen erklären, dass sie für ihre Zukunftsplanung in den nächsten Jahren wieder verstärkt auf Wasserstoff setzen. Im Juni forderten einige EU-Länder, darunter Luxemburg, die EU-Kommission auf, eine Strategie für den Ausbau von Wasserstoffenergie vorzulegen. Auch im Strategiepapier zum Thema Energie und Klima, das das Energieministerium im Januar veröffentlichte, nahm Wasserstoff eine wichtige Rolle ein. Firmen investieren stark in die Technologie. So werden Volvo und Daimler bis Ende des Jahres ein Gemeinschaftsunternehmen gründen, um gemeinsam Lastwagen mit Brennstoffzellen herzustellen.

Der Hauptgrund, warum sich Wasserstoff wieder zum Hoffnungsträger in Sachen Energiewende mausert, liegt in der Dringlichkeit des Klimawandels. „Heute benötigen wir weltweit ungefähr 20 000 Terawattstunden Energie. Wenn der Bedarf so weiterwächst wie bisher, sind wir 2050 bereits bei 50 000 Terawattstunden. Mit der heute verwendeten Technologie würde das eine Temperatursteigerung von mehr als vier Grad Celsius bedeuten, mit potenziell katastrophalen Auswirkungen für den Planeten“, sagt Damien Lenoble, Direktor der Materialforschung am Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST).

Aufgrund ihrer Vielseitigkeit könnte die Wasserstofftechnologie der zentrale Baustein sein, um die aktuellen Probleme der Energiewende zu meistern. An sonnigen und windigen Tagen erzeugen Wind- und Solaranlagen bereits heute mehr elektrischen Strom, als sofort verbraucht werden kann. Dieser könnte in Wasserstoff gespeichert und bei Bedarf in Brennstoffzellen wieder in Strom umgewandelt werden. Oder der Wasserstoff könnte mit entsprechenden chemischen Beimischungen genutzt werden, um Wohnungen zu heizen oder Schiffe und Flugzeuge anzutreiben. Um den Wasserstoff zu speichern oder zu transportieren, könnte man größtenteils die bestehende Infrastruktur des Gasnetzes anpassen und weiterverwenden.

Der Hauptkonkurrent von Wasserstoff als Energiespeicher der Zukunft, die Batterie, hat allerdings einen entscheidenden Vorteil: Sie ist effizienter. Denn bei der Umwandlung von Strom und Wasserstoff und zurück geht jeweils viel Energie verloren. „Bei Batterien wird derzeit etwa 95 Prozent der erzeugten Energie gespeichert. Bei bestimmten Methoden erreicht man bei sehr hohen Temperaturen von etwa 500 Grad Celsius bei der Elektrolyse von Wasser einen Wirkungsgrad von etwa 70 bis 75 Prozent. Unter normalen Bedingen liegt dieser bei Sonnen- und Windenergie allerdings nur bei 15 bis 25 Prozent“, so Lenoble. „Als Übergangslösung macht Batterietechnologie also durchaus Sinn. Allerdings stoßen Sie damit bei einem breiten weltweiten Einsatz schnell an die Grenzen, weil dafür mit der aktuell verwendeten Technologie auf der Erde einfach nicht genügend sichere, günstige und ethische Quellen für Rohmaterialien sind, um genügend Batterien herzustellen“, so Lenoble. Das LIST arbeitet daher gerade an neuen Methoden, um Wasserstoff effizienter herstellen, lagern und einsetzen zu können. Die Forscher aus Luxemburg überprüfen die Machbarkeit eines neuen technischen Verfahrens, durch das Wasser durch Sonneneinstrahlung direkt in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Der Schritt der Umwandlung in elektrischen Strom mit seinen Effizienzverlusten würde also wegfallen. Im Wesentlichen wolle man das Grundprinzip der Fotosynthese kopieren, erklärt Lenoble.

Kopie der Fotosynthese

„Wir stehen mit diesem Projekt noch ziemlich am Anfang, aber die letzten Ergebnisse sind sehr vielversprechend“, so der Wissenschaftler. Im nächsten Schritt sollen verschiedene Materialkompositionen ausprobiert werden, um die Effizienz weiter zu verbessern. In zwei bis drei Jahren wollen wir die zwei bis drei meistversprechenden Materialien in ein geschlossenes System integrieren“, so Lenoble. Daneben hat das Team einen Prototypen für die nächste Generation von effizienteren Brennstoffzellen entwickelt. Wenn die Forscher bewiesen haben, dass das Gesamtverfahren funktioniert, wollen sie zur Vermarktung entweder ein Start-up gründen oder die Technologie an Industrieunternehmen auslizenzieren.

Reichweitenvorteile

Trotz der geringeren Effizienz könnten Brennstoffzellen batteriebetriebenen Fahrzeugen bald auch auf der Straße Konkurrenz machen. „Ich bin überzeugt, dass die Wasserstofftechnologie eine Zukunft im Bereich der Mobilität hat, insbesondere auf längeren Strecken“, sagt Anthony Auert, der Manager des Luxemburger Automobilclusters. „Die derzeit entwickelten batteriebetriebenen Elektromobilitätslösungen eignen sich für kurze Strecken: von zu Hause ins Büro oder zum Einkaufen.“ Für den öffentlichen Verkehr oder den Güterverkehr seien die elektrischen Optionen jedoch immer noch zu eingeschränkt. Vor allem in Bezug auf die Reichweite hätten die Brennstoffzellen auf Wasserstoffbasis Vorteile, so Auert. „Dort liegt die Reichweite nahe an der von Verbrennungsmotoren und die Ladezeit des Wasserstofftanks entspricht der eines vollen Kraftstofftanks“, sagt der Clustermanager. 

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Antonio Da Palma Ferramacho, Leiter der Mobilitätstechnologie beim Automobilclub ACL. „Elektro- und Brennzellenautos könnten sich ergänzen. Es könnte Sinn machen, dass man ein kleines Elektroauto für die Stadt hat und ein größeres Wasserstofffahrzeug für längere Strecken“, so der Ingenieur.

Die geringere Reichweite hat auch physikalische Gründe, denn die Energiedichte von Batterien ist bei weitem nicht so hoch wie die von flüssigen Kraftstoffen. Daher ist in näherer Zukunft nicht damit zu rechnen, dass Autobatterien mit wesentlich verbesserten Reichweiten auf den Markt kommen. Batterien mit höherer Ladekapazität sind daher sehr groß und damit schwer. Für Anwendungen zum Beispiel in der Luftfahrt ist Batterietechnologie daher kaum zu gebrauchen. „Dort hat Wasserstoff einen großen Vorteil gegenüber Batterien, weil er leichter als Luft ist“, sagt Da Palma Ferramacho.

Ein weiterer Pluspunkt für Wasserstoff ist, dass Energie ohne große Verluste über einen längeren Zeitraum gespeichert werden kann. „In einer Batterie verringert sich innerhalb von relativ kurzer Zeit die Menge der gespeicherten Energie, bei Wasserstoff hat man dieses Problem nicht“ so der Ingenieur. Gerade wenn die Energiewirtschaft zunehmend auf volatile Quellen wie Sonne und Wind setzt, kann das ein wichtiger Vorteil für den Wasserstoff sein.

Dennoch dämpft Damien Lenoble vom LIST die Erwartungen. „Es gibt ein paar Bereiche, in denen die Technologie schon dabei ist, sich zu etablieren, aber ich glaube nicht an einen Durchbruch von Wasserstoff als Energieträger in den nächsten Jahren. Das ist eher innerhalb der nächsten acht bis zehn Jahre realistisch“, so der Forscher. Vorher gelte es noch einige technische Herausforderungen wie einen verbesserten Wirkungsgrad und eine höhere Sicherheit zu bewältigen.

THOMAS KLEIN

 

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