Eine App mit Mission

Krankmachende Stoffe in Putzmitteln, Kleidung, Spielzeug: Das muss nicht sein. Mit der "Scan4Chem"-App kann jeder dazu beitragen, mehr Transparenz in die Zusammensetzung von Alltagsprodukten zu bringen - und dabei helfen, diese vielleicht sogar vom Markt zu verbannen. 

Source : Revue
Date de publication : 29/01/2020

 

Der Teddybär sieht niedlich aus, mit seinem kuschligen Fell und den kugelrunden Augen. Doch sind die Stoffe, die zu seiner Herstellung verwendet wurden, genauso harmlos? Mit "Scan4Chem" können Verbraucher das herausfinden. Seit November ist die Anwendung bei Google Play sowie im App Store erhältlich, sie soll dazu beitragen, die Konsumenten über Inhaltsstoffe in ihren Produkten aufzuklären. "Der Verbraucher hat ein Recht auf Auskunft und mit dieser App kann er ganz einfach davon Gebrauch machen", erklärt Dr. Arno Biwer, Leiter der Gruppe "Environmental Policies" beim "Luxembourg Institute of Science and Technology" (LIST). Er war mit seinem Team, gemeinsam mit der IT-Abteilung von LIST, an der Entwicklung der App beteiligt - und weiß, weshalb es so wichtig ist, diese Daten zu sammeln. Viel zu oft sei nicht klar, was wirklich in den Produkten stecke, mit denen wir uns tagtäglich umgeben. Derzeit gibt es 173 Stoffe, die als besonders besorgniserregende Stoffe von der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) identifiziert worden sind - weil sie, um nur ein Beispiel zu nennen, krebserregend sein können. Weshalb Produkte mit besorgniserregenden Stoffen überhaupt in Umlauf sind - das weiß Arno Biwer auch: "Die europäische Gesetzgebung ist erst 2007 in Kraft getreten. Es gibt Unmengen an Stoffen und von vielen waren die gesundheitlichen Folgen damals noch gar nicht bekannt." 

Eine Untersuchung von WeihnachtsDekoartikeln, die im Rahmen des europäischen Projekts AskREACH durchgeführt wurde, zeigt: Handeln, auch per App, ist wichtig. Sehr wichtig. In rund der Hälfte der getesteten Proben, darunter Lichterketten, Christbaumkugeln und künstliche Weihnachtsbäume, wurden "besonders besorgniserregende" Stoffe nachgewiesen. Keiner der Hersteller hatte die Existenz dieser Chemikalien in den jeweiligen Produkten bekanntgegeben. Dreizehn von ihnen hatten die gesetzlichen Grenzwerte sogar überschritten - und wurden aus dem Handel genommen. Das Problem: "Es sind oft nicht nur die Kunden, die nicht wissen, was in den Produkten steckt - auch die Händler sind oft einfach ahnungslos", so Arno Biwer. Das liege daran, dass nur Stoffe und Gemische, nicht aber Erzeugnisse, etwa Möbel, Kleidung oder Spielzeuge, die diese Stoffe ebenfalls enthalten können, gekennzeichnet werden müssen. Das Problem: Innerhalb der Lieferketten gibt es zwar eine Mitteilungspflicht, für die Erzeugnisse, die daraus gefertigt werden, gilt diese jedoch nicht. Da für die Hersteller aber eine Auskunftspflicht besteht, (festgehalten in der REACH-Verordnung der EU im Artikel 33), sollen und dürfen Verbraucher auch nachhaken. 

Die App soll nun, nach und nach, mehr Transparenz bringen - und zwar nicht nur in Luxemburg, sondern europaweit. In dreizehn Ländern und in zwölf Sprachen ist sie bereits erhältlich, weitere sollen noch folgen. Anderthalb Jahre hat das Team um Arno Biwer an der Anwendung gearbeitet, und "auch, wenn es nach einer Spielerei aussieht, es steckt eine Menge Arbeit drin", so Biwer. Das Projekt begleitet haben zudem das Umweltsowie das Wirtschaftsministerium, tragen diese doch 40 Prozent der Kosten, der Rest wird von der EU finanziert.

Doch zurück zur Anwendung. Nach dem Herunterladen der App kann es auch schon losgehen. Wer herausfinden will, welche Stoffe sich im Textmarker, im Wintermantel oder in der Handyschutzhülle befinden, verfügt über drei Möglichkeiten. Der Idealfall sieht folgendermaßen aus: Der Barcode des Produkts wird gescannt und der Verbraucher erhält sofort Informationen - auch dann, wenn der Artikel keine gefährlichen Stoffe enthält. Das klappt aber nur, wenn diese Angaben bereits in der Datenbank hinterlegt worden sind. Da diese derzeit aber noch eher dürftig gefüllt ist, muss auf eine andere Möglichkeit zurückgegriffen werden. Ist dann also zumindest das Unternehmen bereits in der Datenbank eingetragen, das Produkt aber nicht, kann der Verbraucher mittels automatisiertem Text eine Anfrage um eine Auflistung der Inhaltsstoffe an die betreffende Firma schicken. Eine dritte Variante - die übrigens derzeit am häufigsten auftritt - kommt aber auch noch in Betracht: Und zwar dann, wenn weder Produkt noch Marke vorhanden sind. "In diesen Fällen hoffen wir auf motivierte Verbraucher, die sich die Emailadressen von Kundenservices suchen und die Hersteller anschreiben", erklärt der promovierte Biochemiker. Wenn ein Hersteller dreimal angeschrieben wird, wird dieser aber auch schon automatisch in der Datenbank gespeichert. Schritt für Schritt wird die Datenbank so also gefüllt - auch mit Informationen zu unbedenklichen Stoffen. 

"Scan4Chem" ist übrigens nicht die erste App dieser Art, die auf den Markt kommt. Ähnliche, etwa "ToxFox", gibt es schon länger. Der Unterschied: "Scan- 4Chem" hilft dabei, Informationen aus ganz Europa zu sammeln und so eine breitgefächerte Datenbank aufzubauen. Daneben erfüllt das Tool noch weitere Zwecke. Zum einen wird das Bewusstsein dafür erhöht, dass eben nicht alle Produkte, die in den Läden stehen, "gut" sind. Zum anderen ist es eine Art Botschaft, die die Konsumenten an die Hersteller senden können. Und zwar die, dass es ihnen nicht egal ist, was in ihren Produkten steckt. Je mehr Anfragen die Hersteller erhalten, desto mehr wird dies wohl auch deren Interesse daran steigern, diese Stoffe aus den eigenen Sortimenten zu eliminieren. 

Das Team um Arno Biwer ist bereits tatkräftig bei der Sache. "Wir scannen fleißig Produkte und schicken Anfragen an Hersteller - und oft kommen auch sehr kompetente Antworten von den Unternehmen zurück", erzählt er. Doch was, wenn diese trotz der Auskunftspflicht nicht antworten' "Nun ja", schmunzelt er, "keine Antwort kann ja bekanntlich auch eine Antwort sein." Und weiter: "Eigentlich schaden die Unternehmen sich ja auch selbst, wenn sie nicht antworten", so Biwer. Das bedeutet konkret: Der Kunde kann sich in solchen Fällen für andere Anbieter, die transparenter arbeiten, entscheiden. Eine der Aufgaben von Arno Biwers Team ist es aber auch, Unternehmen über die App zu informieren und sie einzuladen, ihre Produkte zu registrieren. 

Ein Manko bei der App gibt es, zumindest derzeit noch: Die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln sowie von flüssigen und pulverförmigen Produkten wie etwa Kosmetika oder Waschmittel können nicht per "Scan4Chem" angefragt werden. Das liege daran, dass für diese andere Gesetze gelten. Es sei aber nicht auszuschließen, so Arno Biwer, dass es ein Nachfolgeprojekt für diese Produkte geben wird. Der Ball aber, der liegt jetzt erst einmal beim Verbraucher. 

Das Prokekt

Ermöglicht wurde die Programmierung der App durch das europäische Projekt AskREACH, das über das EU LIFE Programm gefördert wird. 20 Projektpartner aus 13 europäischen Ländern arbeiten seit September 2017 in dem Projekt zusammen, weitere Länder haben sich mittlerweile angeschlossen. Ziel ist, die App in ganz Europa zu verbreiten.

Europäische Händler-Auskunftspflicht

Verbraucher haben - nach REACH Art. 33 - das Recht, Anfragen zu besonders besorgniserregenden Stoffen in Erzeugnissen zu stellen. Den Anbietern von diesen Erzeugnissen obliegt eine Frist von 45 Tagen, diese zu beantworten - falls ein solcher Stoff in einer Konzentration über 0,1 Gewichtsprozent enthalten ist. Zudem muss dann der Stoffname sowie weitere diesbezügliche Informationen offengelegt werden. Allerdings sind von diesem Recht nur Erzeugnisse betroffen, Verpackungen und Gegenstände etwa. Lebensmittel und flüssige oder pulverförmige Produkte wie Kosmetika, Waschmittel oder Lacke sind hingegen nicht davon betroffen. Bei einem zusammengesetzten Erzeugnis, etwa ein Fahrrad, muss der Anbieter überdies zu allen enthaltenen Einzelerzeugnissen Auskunft geben.


Cheryl Cadamuro

 

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