"Paradigmenwechsel in der Wissenschaft"

Als im Jahr 1999 der Nationale Forschungsfonds (Fonds national de la Recherche, FNR) gegründet wird, um Forschungsprojekte in Luxemburg zu finanzieren, gibt es im Großherzogtum noch keine Universität und nur wenige Forschungseinrichtungen. 20 Jahre später hat sich die Situation grundlegend geändert. Das „Luxemburger Wort“ sprach mit FNR-Geschäftsführer Marc Schiltz über die Herausforderungen eines Forschungsfonds in einem kleinen Land, Paradigmenwechsel in der Forschung und die Vorteile einer „Open Access“-Politik.

Source : Luxemburger Wort
Date de publication : 26/11/2019

 

Marc Schiltz, in größeren Ländern konkurrieren oft Hunderte von Universitäten um knappe staatliche Forschungsmittel. Ist das Quasimonopol der Universität Luxemburg ein Problem für den FNR?

Das ist nicht nicht unbedingt ein Problem. Zum einen gibt es ja durchaus noch andere Forschungseinrichtungen als die Uni. Die Situation hängt natürlich mit der Größe des Landes zusammen. Wir können hier kein Forschungssystem aufbauen, wo etliche Institutionen miteinander in Konkurrenz stehen. In Deutschland zum Beispiel reichen über 100 Universitäten Anträge bei der „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ ein und die suchen sich die besten heraus. Allein das sichert schon die Qualität. Wir müssen hier andere Wege beschreiten. 

Wie stellt der FNR die Qualität der Anträge sicher? 

Indem wir unser Evaluations- und Auswahlverfahren völlig international aufgestellt haben. Das heißt, wir versuchen für jedes Projekt die besten Experten weltweit zu gewinnen, um die Forschungsprojekte zu bewerten. 

Was sind denn die Kriterien, die der FNR bei der Beurteilung anlegt?

Wir haben einige Förderprogramme mit sehr spezifischen Anforderungen, aber im Großen und Ganzen gibt es vier Kriterien: Erstens muss die Forschungsfrage klar definiert und relevant sein. Dann schauen wir, wie originell der Forschungsansatz ist, der im Antrag beschrieben wird. Es geht auch darum, neue Ansätze oder ein kreatives Element einzubringen. Das dritte Kriterium betrifft das Team des Antragstellers; bringen sie alle nötigen Fähigkeiten mit um das Projekt erfolgreich durchzuführen? Verfügen sie über die nötigen Infrastrukturen und Ausrüstung? Das letzte Kriterium sind die erwarteten Resultate: Welche Erkenntnisse verspricht man sich, welche Anwendungsmöglichkeiten ergeben sich? 

Wie definieren Sie Relevanz? Rein unter dem wissenschaftlichen Aspekt oder im Sinne der Verwertbarkeit im Luxemburger Umfeld? Inwieweit fließen die Forschungsprioritäten des Landes in den Auswahlprozess ein?

Es geht um beides. Auch bei den Forschungsprioritäten geht es ja nicht nur um konkrete Anwendungen, sondern auch um Grundlagenforschung. Bei der Auswahl kommt es sehr auf das konkrete Projekt an: Bei einem Projekt in der theoretischen Physik muss vor allem die wissenschaftliche Frage relevant sein. Ein anwendungsbezogenes Projekt kann schon mal vom wissenschaftlichen Ansatz weniger interessant sein, wenn dafür ein wichtiges Problem gelöst wird. 

Wenn über die Vorteile von Luxemburg gesprochen wird, werden oft die kurzen Wege erwähnt. Sie sind im achten Stock des Universitätsgebäudes untergebracht. Ist es da nicht manchmal schwer, die nötige Distanz zu wahren?

Ich denke, dass uns das recht gut gelingt. Einerseits versuchen wir die kurzen Wege möglichst gut zu nutzen. Wir stehen im ständigen Austausch mit der Forschungsgemeinschaft in Luxemburg. Da ist es ein großer Vorteil, dass die Community relativ übersichtlich ist. Das FNR-Team kennt praktisch jeden einzelnen Forscher, und wir wissen sehr genau, was passiert und was die Stärken und Schwächen der Forschung in Luxemburg sind. Auf der andere Seite stellt die Einbindung der internationalen Experten die Unabhängigkeit unserer Entscheidungen sicher. Ich habe noch nie einen Anruf von einem Minister erhalten, dass ich doch gefälligst ein bestimmtes Projekte bevorzugen möchte. 

Gibt es umgekehrt einen Feedbackloop zurück in die Politik? Werden Sie nach Ihrer Meinung gefragt, wenn es darum geht, die Forschungsprioritäten des Landes zu definieren?

Ja, die Redefinition der Forschungsprioritäten machen wir gemeinsam mit dem Ministerium. Wir haben einen Bericht ans Ministerium übergeben, in dem wir Empfehlungen machen. Dazu haben wir sowohl die Luxemburger als auch die internationale Forschungsgemeinschaft einbezogen. Derzeit findet die Abstimmung zwischen den Ministerien darüber statt. 

Während die öffentliche Forschung in Luxemburg inzwischen ganz gut dasteht, forschen die Unternehmen hier im Land kaum. Was kann der FNR tun, um das zu ändern?

Wir haben bereits Programme wie BRIDGES, die gezielt die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Forschungseinrichtungen und Unternehmen fördern. Diese werden wir mit Sicherheit ausbauen. Bei den Programmen haben zunächst nur die großen Unternehmen mitgemacht, die Zahl der Unternehmen, die mit Uni oder LIST zusammenarbeiten, wächst aber inzwischen beständig. Durch gemeinsame Projekte kann die öffentliche Forschung hier als eine Lokomotive fungieren, die auch die Forschung in den Unternehmen anschiebt. 

Sie sind einer der Initiatoren des „Plan S“, der auf europäischer Ebene fordert, dass alle Forscher, die staatliche Fördermittel erhalten, ab 2021 nur noch in Zeitschriften publizieren, die frei zugänglich sind. Warum halten Sie das für notwendig?

Wir verstehen Wissenschaft als öffentliches Gut. Aus dieser Perspektive heraus sollten die Erkenntnisse jedem zugänglich sein. Insbesondere, wenn die dahinterstehende Forschung aus öffentlicher Hand finanziert wird. Deshalb ist es nicht aus unserer Sicht nicht akzeptabel, dass die Resultate hinter Paywalls verschwinden. Es behindert auch den wissenschaftlichen Prozess an sich, da andere Wissenschaftler die Ergebnisse überprüfen können müssen. Die großen Verlagshäuser haben in den letzten Jahren ständig die Abonnementspreise erhöht, so dass sich auch große Universitäten nicht mehr alle Publikationen leisten können. 

An dem Ansatz gibt es aber auch Kritik. Vermutlich jeder Forscher hat doch den Wunsch einmal in angesehenen Publikationen wie „Science“ oder „Nature“ zu publizieren. Wie wollen Sie denen das verbieten?

Ich denke, dass es die Verlagshäuser sind, die ihr Geschäftsmodell umstellen müssen. Die meisten sind auch bereits dabei, das zu tun. Natürlich sehen wir ein, dass die auch Kosten haben. Die Förderorganisationen sind bereit, sich an der Finanzierung zu beteiligen, aber das Modell muss sich ändern. Zuletzt ist der Anteil an „Open Access“-Veröffentlichungen mehr oder weniger konstant geblieben. Zurzeit sind 75 Prozent der wissenschaftlichen Artikel, die publiziert werden, und die zum größten Teil mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, nicht frei zugänglich. Das ist nicht akzeptabel. 

Vielleicht zum Schluss noch ein Blick in die Zukunft; auf die nächsten 20 Jahre des FNR. Was ist aus Ihrer Sicht aktuell die Entwicklung, die das Potenzial hat, die Forschung zu verändern?

Die digitale Transformation hat eindeutig auch die Wissenschaft erfasst, und zwar nicht nur oberflächlich, sondern sehr fundamental. In den letzten 400 Jahren dominierte das hypothesen-getriebene wissenschaftliche Arbeiten. Ich stelle also eine Hypothese auf und dann erhebe ich Daten oder mache Experimente, um diese zu widerlegen oder zu bestätigen. Mit den neuen Technologien wie zum Beispiel Machine Learning versucht man nun ohne vorgefertigte Hypothesen Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge aus der riesigen Masse von existierenden Daten zu entnehmen. Das ist ein neues Paradigma. 

Inwieweit ändert sich dadurch konkret die Arbeit von Forschern?

Für die Wissenschaften geht es weniger um die Daten, die sie selbst in Experimenten oder Feldstudien erzeugen. Es sind sehr viele Daten vorhanden, aber die sind nicht unbedingt frei zugänglich oder miteinander verknüpfbar. Da muss sich auch die Politik darum bemühen, dass die Forscher die Möglichkeit erhalten, mit diesen Daten zu arbeiten. Darüber hinaus sehen wir auch, dass den öffentlichen Forschungszentren mit Unternehmen eine neue Konkurrenz erwächst. Vor ein paar Wochen hat Google zum Beispiel seine Ergebnisse zum Quantum Computing vorgestellt. Das hätte vor ein paar Jahren nur an öffentlichen Forschungseinrichtungen stattfinden können. 

Was bedeutet diese Entwicklung für die Universitäten? 

Vielleicht, dass wir überlegen müssen, ob sich nicht die Kultur an unseren Universitäten ändern muss. Wenn wir verhindern möchten, dass die nächste Generation von brillanten jungen Leuten lieber zu Google gehen, müssen wir vielleicht das relativ altmodische hierarchische Modell an den Universitäten mit in den Anfangsjahren befristeten und schlecht bezahlten Verträgen überdenken. Da kommen viele Herausforderungen auf uns zu.

Thomas KLEIN

 

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