Runde Sache mit Grip

Der Reifenhersteller Goodyear feiert "120 Jahre Innovation" – und eine neue Fabrik in Luxemburg

Source : Luxemburger Wort
Date de publication : 27/08/2018

Das Unternehmen ist einer der größten Arbeitgeber in Luxemburg und drittgrößter Reifenhersteller der Welt: Goodyear. Am 29. August 1898 gegründet, feiert der Konzern demnächst seinen 120. Geburtstag.

Carlos Cipollitti ist Vizepräsident für die Produktentwicklung des Reifenherstellers Goodyear in Europa, Naher Osten und Afrika sowie Generaldirektor des "Goodyear Innovation Center" in Luxemburg. Dem "Luxemburger Wort" stand der Ingenieur und Manager, der nahezu sein gesamtes Berufsleben bei Good- year verbrachte, Rede und Antwort zur neuen Fabrik bei Düdelingen, dem "Mercury"-Projekt und den Reifen der Zukunft.

Carlos Cipollitti, wie ist der Stand der Dinge bei der neuen Fabrik in Düdelingen?

Wir sind im Plan. Die Fabrik entwickelt sich gut, die erste Halle wurde inzwischen errichtet, und ab Mitte nächsten Jahres sollen Maschinen und Ausrüstungen installiert werden. Das braucht ein wenig Zeit, denn die Maschinen sind sehr spezifische und müssen erst ausgiebig getestet werden. Doch Ende nächsten Jahres sollten wir mit der Test-Produktion beginnen können, sodass wir von Düdelingen aus ab 2020 den Markt beliefern. Insgesamt investieren wir dort etwa 77 Millionen US-Dollar.

Warum Düdelingen und nicht an billigeren Standorten wie Slowakei oder Rumänien?

Was wir jetzt dort bauen, ist keine traditionelle Fabrik, sondern ein neues Produktionsmodell, bei dem wir unsere eigenen Technologien einsetzen. In Düdelingen werden wir hochwertige und spezialisierte Produkte herstellen, keine Massenfabrikation. Dazu brauchen wir ein Produktionsmodell, das flexibel ist und automatisierte Prozesse gemäß "Indutrie 4.0" genauso benutzt wie auch die neuesten Technologien anwendet. Wir haben uns dazu mehrere Standorte angeschaut. Es sollte aber nicht weit weg vom "Innovation Center" sein, das wir in Colmar-Berg haben und wo wir den "Mercury"-Produktionsprozess in den vergangenen fünf Jahren entwickelt und getestet haben. Darum fiel letztendlich die Wahl auf Düdelingen. Das "Mercury"-Projekt ist so wichtig für uns, weil die Möglichkeiten immer mehr auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind.

Läuft auch das Projekt "Automotive Campus" wie geplant?

Den "Automotive Campus" haben wir zusammen mit Partnern wie dem Wirtschaftsministerium oder zum Beispiel IEE gegründet, um unsere Fähigkeiten auszuweiten. Hier im "Innovation Center" haben wir schon einen bedeutenden Fußabdruck in puncto Innovation, und den Campus wollen wir neuen Technologien und den neuen Möglichkeiten, die sie bieten, widmen. Der Geist des Campus ist, neue Start-ups mit neuen Ideen dorthin zu bringen und die Interaktion untereinander zu fördern. Wir schauen auf die Entwicklung von Fahrzeugen und Reifen. Hier gibt es vier Trends: Das Modell des Fahrzeug-Besitzes ändert sich angefangen mit Uber oder anderen Sharing-Modellen, was auch die Anforderungen an Reifen verändert. Der zweite Trend sind selbstfahrende Fahrzeuge: Welche Reifen müssen hierzu entwickelt werden? Der dritte Trend ist die Konnektivität, denn der Reifen ist nicht mehr etwas, was unabhängig vom Fahrzeug betrachtet werden kann. Das hatten wir jüngst auf der Automesse in Genf mit interagierenden Reifen vorgestellt. Und als viertes: die Elektrifizierung. Wie wird sie die Ansprüche an Reifen verändern? All das wären Trends, für die der Campus gedacht ist.

Egal welcher Trend die Autoindustrie verändert, Reifen werden dennoch gebraucht. Verlangen aber E-Autos nach einer anderen Art von Reifen?

Der einzige Kontakt zwischen Fahrzeug und Boden ist der Reifen. Eine Veränderung der Antriebstechnologie stellt auch andere Anforderungen an den Reifen. Momentan gibt es viele, die in E-Autos die Zukunft sehen. Bei Elektroautos fällt der Motorenlärm weg, was bewirkt, dass man die Reifen deutlicher hört, die man heute zum Beispiel im Wagen selbst gar nicht mehr hört. Bei Elektrofahrzeugen sind auch Beschleunigung und Abbremsen anders als bei solchen mit Verbrennungsmotoren, was Reifen anders beansprucht und wo andere Designs besser passen. Das heißt, wir müssen diesen neuen Bedürfnissen Rechnung tragen, was wiederum zur Folge hat, dass wir in Zukunft für all die verschiedenen Anwendungen eine breitere Produktvielfalt haben müssen als heute.

"Oxygene" und digitale Reifen sind die neusten Entwicklungen aus Ihrer Forschungsabteilung. Können Sie mehr dazu sagen?

Sehr gern. Das sind Konzeptreifen, die wir dieses Jahr vorstellten. Konzeptreifen sind Ideen, wie wir die Zukunft sehen. Der Oxygene-Reifen ist mit dem 3D-Drucker gedruckt und enthält statt Luft organisches Material, genau gesagt Moos. Es sind Reifen, die wegen ihrer offenen Struktur und des Laufflächendesigns von der Fahrbahn Wasser absorbieren können, so dass in ihnen Photosynthese stattfinden kann, die selbst wieder Elektrizität erzeugt und damit die Sensoren mit Strom versorgen kann, die im Reifen verbaut sind. Gleichzeitig produziert der Reifen Sauerstoff. Heute haben wir Prototypen von Reifen, die mit Sensoren ausgerüstet sind und mit LiFi, also mit Licht, kommunizieren können, sie können beispielsweise den Fahrer über Temperaturen und Reifendruck informieren, oder auch von Fahrzeug zu Fahrzeug.

Ganz persönlich: Wie hat sich Goodyear entwickelt, seitdem Sie im Unternehmen arbeiten, seit 1984?

In den letzten 34 Jahren, seitdem ich bei Goodyear bin, haben sich die Anforderungen an Reifen sehr geändert, das fing an mit dem Rollwiderstand der Reifen oder der Geräuschemission, was wiederum eine Evolution von in Reifen benutzten Materialien und Designs mit sich brachte. Die Reifen mussten sich auch stets mit den Autos weiterentwickeln, die mit der Zeit stärkere Motoren bekamen.

Für jedes einzelne Fahrzeugmodell gibt es heute eine Vielzahl von Reifenausrüstungen. In all den Jahren war ich Zeuge dieses komplexer werdenden Angebots. Goodyear selbst ging stets mit der technischen Entwicklung mit und ist längst kein reiner Produzent mehr, sondern Dienstleister.

Darum pflegen wir bei Goodyear auch den Geist der "open innovation", weswegen wir viele Partnerschaften mit zahlreichen Forschungseinrichtungen unterhalten, unter anderem mit dem LIST (das Luxembourg Institute of Science and Technology, Anm.d.R.)

MARCO MENG

 

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