Das Vertrauen in den Code

Eine dezentral verwaltete Währung, die weder von Staaten noch von Banken kontrolliert wird - das klingt selbst heute noch wie die utopische Idee eines Science-Fiction-Autors. Dabei ist dies bereits seit mehr als einem Jahrzehnt Realität.

Source : Télécran
Date de publication : 13/01/2022

 

Am 22. Mai 2010 zahlte Laszlo Hanyecz für zwei Pizzen 10 000 Bitcoins. Dies gilt als erste offizielle Transaktion von Bitcoins an ein Unternehmen und war, mit Blick auf den aktuellen Kurs, eine teure Mahlzeit! 

Der Grundstein für Kryptowährungen wurde bereits am 31. Oktober 2008, im Jahr der letzten großen Finanzkrise, gelegt. An dem Tag veröffentlichte Satoshi Nakamoto, ein Pseudonym, hinter dem sich eine oder mehrere heute noch unbekannte Personen verbergen, auf knapp neun Seiten die Grundlagen des Bitcoins. Dieses Papier begründete zugleich die Blockchain-Technologie, auf der alle Kryptowährungen basieren. 

"So etwas wie ,die' Blockchain gibt es nicht", erklärt Francesco Ferrero, Direktor des "IT for Innovative Services Department" beim Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST). Vielmehr gebe es viele verschiedene Blockchain- Lösungen und jede von ihnen habe ganz bestimmte Eigenschaften. Einiges ist ihnen jedoch allen gemein: "Eine Blockchain ist im Grunde eine Art Datenbank, die von einer Gruppe Gleichberechtigter verwaltet wird; wobei jeder von ihnen ein Duplikat der gesamten Datenbank besitzt", sagt Uwe Roth, Senior Researcher beim LIST. 

Dabei werden die Kopien immer wieder abgeglichen, also synchronisiert. "Dies geschieht durch einen sogenannten ,Konsensmechanismus', bei dem sich mindestens eine Mehrheit der Gruppe auf eine neue Version der Datenbank einigt", erläutert Ferrero. Dieser Mechanismus stelle sicher, dass niemand in der Lage ist, die Datenbank einseitig zu manipulieren, um etwa Werte aus der Vergangenheit zu ändern oder Datensätze zu löschen. Dies mache die Blockchain-basierte Datenbank zur "einzigen Quelle der Wahrheit." 

Auf Kryptowährungen bezogen, bedeutet das, dass sowohl die Krypto-Coins als auch deren Besitzer in der Blockchain gespeichert werden. Alle Änderungen der Eigentumsverhältnisse werden von jeder Münze registriert. "Nur der Besitzer einer Krypta-Münze kann diese auch ausgeben, und zwar nur genau einmal. Der Konsensmechanismus stellt sicher, dass niemand betrügen kann", unterstreicht Roth. 

Da sich die Datenbank eben nicht zentral auf einem Rechner, sondern auf vielen hunderttausenden befindet, ist der Verlust der Daten durch etwa einen großflächigen Stromausfall ausgeschlossen. 

Zugleich entfernt die Blockchain alle Mittelsmänner wie etwa Banken. Somit sind Kryptowährungen ein radikaler Gegenentwurf zur Funktionsweise der bisherigen Geldwirtschaft, die zu einem Großteil auf Vertrauen in Finanzinstitute basiert und bei der die Staaten ein Machtmonopol haben, weil sie durch die Zentralbanken Geld drucken können. 

Digitales Gold und Silber 

Seit 2008 ist die Zahl an Kryptowährungen explodiert und beträgt mittlerweile mehr als 10 000. Sie heißen Ethereum, Solana, Cardano oder Ripple. Aber warum gibt es so viele und was ist ihr Nutzen? "Kryptowährungen sind an ihre jeweilige Blockchain-Plattform gebunden. Seit der Einführung des Bitcoins wurden mehrere Vorschläge zur Verbesserung der Funktionsweise von Blockchain-Plattformen sowie zur Hinzufügung neuer Funktionen gemacht. In den meisten Fällen können diese Vorschläge nicht in der bereits bestehenden Plattform umgesetzt werden, was die Schaffung einer neuen Plattform mit einer neuen Kryptowährung erfordert", begründet Ferrero die enorme Anzahl neuer Kryptowährungen. 

Nasir Zubairi, CEO des Luxembourg House of Financial Technology (LHoFT), zieht bei den verschiedenen Kryptowährungen den Vergleich zu Rohstoffen. Demnach sei Bitcoin wie Gold und Ethereum wie Silber. Gold habe wenig praktischen Nutzen und seine Reserven seien - ähnlich wie bei Bitcoins, von denen es maximal 21 Millionen Münzen geben wird - begrenzt, was zu dessen Wertstabilität beiträgt. "Silber wird jedoch unter anderem in der Industrie verwendet, etwa so wie Ethereum, das eine Vielzahl von Blockchain-Anwendungen antreibt", erläutert er. Ethereum sowie einige andere Coins werden von Plattformen verwendet, um für die Ausführung sogenannter "intelligenter Verträge" zu bezahlen, bei denen es sich um kleine Programme handelt, die innerhalb des Blockchain-Ökosystems laufen. "So gibt es Blockchain-Plattformen, die beispielsweise Kryptowährung verwenden, um Mikrozahlungen zwischen Maschinen zu ermöglichen. Damit können diese automatisch Dienste anderer Maschinen in Anspruch nehmen und bezahlen. In solchen Fällen ist die Verwendung von Kryptowährungen nützlich und sinnvoll, und sollte auch in Zukunft legal bleiben", erklärt Uwe Roth vom LIST. 

Allerdings werden Kryptowährungen zurzeit oft nicht für ihren eigentlichen Verwendungszweck genutzt, sondern als Anlage. Angesichts der hohen Spekulation, die den Wert der Kryptowährung beeinflusst, ist eine Nutzung wie das Kaufen oder Verkaufen von Dingen sehr schwierig und es ist fast unmöglich, einen Preis für ein Produkt in einer diese Währungen festzulegen. 

Erhielt man im Oktober 2009 für einen Uß-Dollar 1309,03 Bitcoins, musste man am 9. November 2021, als die digitale Währung ihr bisheriges Allzeithoch erreichte, 68 530,43 US-Dollar für einen Bitcoin zahlen. Ein enormer Wertanstieg. "Was wir momentan sehen, ist, dass Kryptowährungen zum Mainstream werden. Immer mehr Verbraucher beziehen digitale Währungen in ihre langfristige Anlagestrategie ein, und immer mehr große Institutionen beginnen, Kryptowährungen in ihre Portfolios aufzunehmen", so lautet die Einschätzung von Barbara Daliri, Chief Growth Officer bei Bitstamp, eine Börse für Kryptowährungen mit Sitz in Luxemburg. 

Mondpreise lassen träumen 

Der Hype um die Kryptowährungen lässt jedoch auch Befürchtungen aufkommen, der Markt sei derart aufgebläht, dass er kollabieren könnte. Laut Daliri wird der Wert des Kryptomarktes unter anderem durch große Online-Akteure und Influencer beeinflusst, die "durch ihre Aktionen leicht eine große Anzahl von Verbrauchern dazu bewegen, in bestimmte Münzen zu investieren, ohne sich ausreichend über das Risikoniveau oder deren Konzept zu informieren." 

Zu diesen Influencern zählt sicherlich auch Tesla- und SpaceX-Gründer Elon Musk, der mit seinen Twitter-Aktivitäten regelmäßig für größere Bewegungen an den Kryptobörsen sorgt. "Solche extremen Wertschwankungen der Kryptowährungen zeigen deutlich, dass das Vertrauen in das System auf dünnem Eis steht und sind ein Hinweis auf das hohe Potenzial einer Blase", unterstreicht Francesco Ferrerovorn LIST. 

Entsprechend sollte man beim Investieren in Kryptowährungen versuchen, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen und das Geschäftsmotto des US-amerikanischen Großinvestors Wanen Buffett beherzigen: "Investiere niemals in ein Geschäftsmodell, das du nicht verstehst". Sich gründlich mit der Materie befassen tun. Jedoch befassen sich nur die wenigsten gründlich mit der Materie, sie lassen sich von der Euphorie rund um die digitalen Währungen und dem Versprechen von großen Gewinnen mitreißen. 

Risiko und Chance 

Aber was bedeutet der Aufstieg der Kryptowährungen für den luxemburgischen Finanzmarkt? "Wir sind gerade dabei, das herauszufinden", erklärt Nasir Zubairi, CEO des LHoFT, das in Zusammenarbeit mit der Association of the Luxembourg Fundindustry (ALFI) und PricewaterhouseCoopers (PwC) eine Umfrage in der Fondsbranche durchgeführt hat, deren Ergebnisse Anfang 2022 veröffentlicht werden. "Die ersten Anzeichen deuten darauf hin, dass die Branche gemischte Ansichten vertritt: Mahnende Vorsicht bei gleichzeitigem Wunsch, eine möglicherweise taktische Chance zu ergreifen", so Zubairi. 

"Digitale Münzen bieten auch für Luxemburg Potenzial. Darüber hinaus hat die Einbettung digitaler Vermögenswerte in den luxemburgischen Finanzmarkt bereits begonnen", erklärt Barbara Daliri. Die Haltung der Regierung sei gegenüber Kryptowährungen bislang im Allgemeinen progressiv, wobei der frühere Finanzminister Pierre Gramegna vorschlug, dass Kryptowährungen angesichts ihrer weit verbreiteten Nutzung als Zahlungsmittel für Waren und Dienstleistungen akzeptiert werden sollten. 

Dennoch ist nicht ausgeschlossen , dass der gesamte Markt in der EU verboten wird. "Es könnte sein, dass Entscheidungsträger beschließen, die ganze Sache zu beenden, bevor Kryptowährungen zu einem systemisehen Risiko für die Finanzmärkte werden. Es wäre traurig, wenn die Politik bereit wäre, unser individuelles Vermögen zu beeinträchtigen, um die Makrofinanzmaschine am Laufen zu halten", stellt Nasir Zubairi fest. Finanzaufsichtsbehörden verschiedener Länder drängen darauf, den Kryptomarkt zum Teil recht stark zu beschränken oder gar zu unterbinden. "Solange es einen rechtlichen Rahmen gibt, der den einfachen Umtausch von Kryptowährungen in Papierwährungen wie Euro oder Dollar ermöglicht, werden sich Kryptowährungen halten. Sollten die Regulierungsbehörden diesen Umtausch nahezu unmöglich machen, könnte es schwierig werden", betont seinerseits Francesco Ferrero. 

Ein Grund für die zum Teil massiven Bemühungen der Regulierung der Kryptowährungen ist deren Nutzung für kriminelle Aktivitäten. "Wenn beispielsweise Dateien auf Computern von Angreifern mit einem Ransomware-Programm verschlüsselt werden, wollen die Kriminellen mit Bitcoins bezahlt werden. Es ist jedoch unklar, wie viele der bestehenden Bitcoins tatsächlich zu kriminellen Zwecken genutzt werden. Einige Studien deuten darauf hin, dass die Zahl niedriger sein könnte, als wir denken", erläutert Uwe Roth vom LIST.

Dabei sind Kryptowährungen nicht anonym, sondern pseudonym, da alle Transaktionen von der Blockchain erfasst werden. "Ironischerweise ist die Rückverfolgbarkeit bei Kryptowährungen besser als bei allen anderen Vermögenswerten", betont Zubairi. Es ist daher möglich, eine Transaktionsspur bis zum Beginn des Blockchain-Netzwerks zurückzuverfolgen. 

Um für eine bessere Nachverfolgbarkeit und somit Transparenz zu sorgen, müssen bei immer mehr Kryptobörsen Nutzer ihre Identität belegen. "Da immer mehr Menschen und Institutionen in Kryptowährungen investieren, müssen die Regierungen zusammenarbeiten, um eine bessere Regulierung zu schaffen, die die Verbraucher vor Akteuren mit schlechten Absichten schützt", meint Barbara Daliri von Bitstamp. 

Verschwenderischer "Goldrush" 

In der Kritik steht auch der hohe Energieverbrauch von Kryptowährungen. Schließlich basiert die Blockchain auf einem weltweiten Netzwerk von zahl-losen Rechnern, die alle Transaktionen aufzeichnen, verifizieren und verbuchen. Dies bedeutet eine hohe Rechenleistung. Diese Datenverarbeitung wird als Krypto-Mining bezeichnet, also das digitale Schürfen nach Kryptowährungen. Personen, die sich am Krypta-Mining und somit der Blockchain beteiligen, werden bei erfolgreicher Verarbeitung der Daten wiederum mit digitalem Geld vergütet. Entsprechend betreiben weltweit viele Menschen Krypto-Mining. 

Dass das Schürfen nachhaltiger werden muss, meint auch Roth: "Laut dem Magazin ,The Economist' verbraucht Bitcoins in Zeiten hoher Aktivität, wie sie im Jahr 2021 zu beobachten war, mehr Energie als ganz Argentinien in einem Jahr." Doch Krypto-Mining sei nicht in jedem Land gleich, betont Daliri. "Paraguay zum Beispiel hat eine Energieversorgung, die fast zu 100 Prozent auf Wasserkraft basiert, was bedeutet, dass Bitcoins, die dort geschürft werden, einen geringeren COrFußabdruck haben als Bitcoins, die in Ländern geschürft werden, die von fossilen Brennstoffen abhängig sind." 

Für Nasir Zubairi ist die Frage nach dem Energieverbrauch ein stumpfes Argument. Er stellt dem entgegen: "Wie viel Energie wird benötigt, um die Beleuchtung in den Bürogebäuden der Finanzinstitute, die Computer, Server und Datenzentren der Industrie zu betreiben?" Außerdem gebe es effiziente Möglichkeiten, die an der Kryptowirtschaft beteiligten Computer mit nachhaltigem Strom zu versorgen. 

Andere Fachleute werfen den Gedanken auf, die genutzte Energie als eine Investition in ein dezentralisiertes System zu betrachten, in dem einem die eigenen Daten gehören und das jedem Nutzer Autonomie verleiht. 

Jeff Karier

 

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