Die ADEM-Reform zielt auf bessere Betreuung der Arbeitslosen und engere Kooperation mit Firmen. Direktorin Isabelle Schlesser sieht erste Erfolge.
Source : Revue Beilage zur revue 04/16
Date de publication : 27/01/2016
Die ADEM hat ein neues Logo, was verändert sich noch beim Arbeitsamt?
Arbeitsagentur. Es hat sich viel geändert. Angefangen beim Namen. Das neue Gesetz über die Reform der ADEM geht zurück auf Januar 2012. Aus dem "Amt" wurde eine "Agentur". Die neue Geschäftsführung trat Ende 2012 an. Die Zielsetzung war, die Reform der ADEM anzukurbeln. Diese besteht aus drei Schwerpunkten: Der erste ist, die Arbeitsuchenden besser und gemäß ihrer individuellen Bedürfnisse zu begleiten. Der zweite ist die Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern. Schließlich sind es die Unternehmen, die unsere Arbeitssuchenden einstellen. Die dritte Zielsetzung ist mehr organisatorisch, z.B. neue effiziente IT-Lösungen, eine interne Reorganisation und mehr Personal.
Können Sie Zahlen nennen?
Wir haben jetzt rund 400 Mitarbeiter. Als ich anfing, waren es 350. Wir haben hauptsächlich Arbeitsvermittler eingestellt, sowohl klassische Vermittler als auch spezialisierte wie zum Beispiel Psychologen und Sozialarbeiter, die mit Menschen arbeiten, die etwas weiter vom Arbeitsmarkt entfernt sind und bei denen sich andere Probleme stellen als die reine Suche nach einer neuen Stelle. Aber es wurde auch Personal auf dem organisatorischen Level eingestellt, wie Projektleiter.
Trug die Reform bereits Früchte?
Ich hoffe ja. Aber der jüngste Rückgang der Arbeitslosenzahlen ist natürlich nicht einzig mit der Reform der ADEM zu erklären. Da spielt uns die Konjunktur in die Hände. Bereits als Erfolg zu werten ist die bessere Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern. Wir verzeichnen mehr Stellenangebote als im Jahr zuvor. Letzten Monat waren es 13,5 Prozent mehr.
Die Arbeitgeber sollen also mehr Vertrauen in die ADEM haben. Das war nicht immer so.
Man muss das etwas relativieren. In keinem Land hat die Arbeitsverwaltung einen guten Ruf. In Luxemburg war das ein großes Problem. Es gab zwar Unternehmen, die mit der ADEM zufrieden waren. Aber es gab auch einige, die überhaupt nicht mehr mit uns zusammengearbeitet haben. In dieser Hinsicht sieht man, dass sich etwas tut. Wir haben uns intern anders organisiert, haben einen speziellen Service für Arbeitgeber ins Leben gerufen, damit wir nur die Arbeitsuchenden vermitteln, die den konkreten Stellenangeboten wirklich entsprechen. Manchmal können wir durch gezielte Weiterbildung die Arbeitsuchenden fit für den Job machen.
Woher kommen die meisten Angebote? Aus unterschiedlichen Bereichen. Zwei, die sehr viele Anfragen melden, sind der IT- und der Finanzsektor. Diese suchen gut ausgebildete Fachkräfte. Z.B. werden derzeit viele Lohnbuchhalter gesucht. Das müssen nicht unbedingt top qualifizierte Kräfte sein, aber spezialisierte. Hier setzen wir mit unserer Weiterbildung an.
Die Topqualifizierten werden nicht beim Arbeitsamt gesucht?
Das ist nicht unbedingt richtig. Wir sehen sehr oft, dass Personalabteilungen großer Unternehmen, die qualifizierte Mitarbeiter suchen, ihre Stellenangebote bei uns melden. Man muss dazu sagen, dass Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind, ihre freien Plätze zu melden. Aber nur 30 bis 40 Prozent der Firmen tun es tatsächlich. Unser Ziel ist es, diese Zahl zu erhöhen, nicht mit Druck, sondern mit verbessertem Service. Nur so kann es mehr Transparenz auf dem Arbeitsmarkt geben, so dass die Jobvermittlung nicht nur über Mundpropaganda geht und Arbeitsuchende eine Chance haben.
Manche Stellen sind schwer zu besetzen. Das Luxemburger Paradox: einerseits ein großer Personalbedarf, andererseits Arbeitslosigkeit. Hat das mit der Schere zwischen hoch und niedrig qualifiziert zu tun?
Ja, Luxemburg ist das Land auf der Welt, wo der Anteil der hoch qualifizierten Arbeitnehmer am höchsten ist. Er beträgt 56 Prozent. Andererseits haben mehr als 50 Prozent der Arbeitsuchenden, die bei der ADEM gemeldet sind, keine berufliche Qualifikation. Doch stellen einige Sektoren wie die Baubranche immer noch Unqualifizierte ein. Das Baugewerbe boomt gerade. Oft werden diese freien Stellen erst gar nicht bei uns gemeldet. Aber auch im Handel, in der Industrie oder im Hotelgewerbe werden niedrig qualifizierte Mitarbeiter eingestellt. Hier ist es besonders wichtig, dass diese Stellen der ADEM gemeldet werden, so dass sich die Arbeitsuchenden bewerben können.
Wie ist die Jugendarbeitslosigkeit?
Die jungen Arbeitnehmer bilden die Gruppe, die am stärksten von der guten Konjunktur profitiert hat. Wir haben fast zehn Prozent weniger junge Arbeitssuchende als vor einem Jahr. Ob das konjunkturbedingt ist oder mit der seit Juni 2014 bestehenden Jugendgarantie zu tun hat, ist schwer zu sagen. Etwa 6.600 Jugendliche unter 25 Jahren haben sich bisher bei der Jugendgarantie eingeschrieben. Von denen, die vier Monate oder länger dabei waren, haben 82 Prozent eine Stelle, einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme erhalten. Rund tausend Jugendliche sprangen leider innerhalb der ersten vier Monate ab. Das macht uns große Sorgen.
Wie groß ist die Chance, von einer Beschäftigungsmaßnahme wieder auf den freien Arbeitsmarkt zu kommen?
Es gibt sehr unterschiedliche "mesures à l'emploi". Grosso modo sind derzeit 5.400 Menschen in einer Maßnahme. Das sind rund drei Prozent mehr als vor einem Jahr, weil wir konsequent in den Ausbau der Maßnahmen investiert haben. Darunter fallen übrigens auch die Weiterbildungen. Es ist durchaus positiv, einem Arbeitssuchenden eine Weiterbildung vorzuschlagen, die zu seinem Profil passt. Wir haben unter den Maßnahmen auch die speziellen Verträge für die Jugendlichen. Der "contrat d'initiation à l'emploi" (CIE) erlaubt Jugendlichen, ein Jahr in einem Unternehmen zu arbeiten. Der Arbeitgeber bekommt von uns einen Zuschuss. Und der Jugendliche arbeitet und sammelt wichtige Berufserfahrungen, die ihm den Einstieg in den freien Arbeitsmarkt erleichtern.
Sind die Maßnahmen als versteckte Arbeitslosigkeit zu bezeichnen?
Das sehe ich nicht so. In Maßnahmen wie dem CIE arbeiten die Teilnehmer in einem privaten Unternehmen unter normalen Bedingungen, mit dem Ziel, auf dem freien Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Andere Beschäftigungsmaßnahmen wie "initiatives sociales" arbeiten in elster Linie mit Menschen zusammen, die nicht mehr unmittelbar auf dem freien Arbeitsmarkt eine Beschäftigung finden. Man kann also nicht alle Maßnahmen in einen Topf werfen.
Welche Weiterbildungen bieten Sie an?
Das sind ganz unterschiedliche. Wir haben allein im letzten Jahr 30 neue Angebote geschaffen. Viele basieren auf konkreten Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Neben den bereits genannten Lohnbuchhaltern sind das beispielsweise die IT-Programmierer. In der Weiterbildung "Fit4Coding" bilden wir 90 Programmierer zusammen mit Luxemburger Betrieben aus.
Also nicht am Arbeitsmarkt vorbei.
Absolut. Das ist unsere neue Strategie. Ähnlich gehen wir im Logistiksektor vor, wo 85 Prozent der Teilnehmer der Weiterbildungsmaßnahme "Qualilog", die wir in Zusammenarbeit mit dem CNFP durchgeführt haben, sofort eingestellt wurden. In diesem Fall analysierten wir im Vorfeld zusammen mit dem LIST ("Luxembourg Institute of Science and Technologie"), welches Stellenprofil die Firmen brauchen und konzipierten die Weiterbildung entsprechend.
Wie lange ist ein Arbeitsloser im Durchschnitt arbeitslos?
Genaue Statistiken haben wir von denjenigen, die von uns Arbeitslosengeld bekommen, also vorher gearbeitet haben. Man muss wissen, dass von den derzeit rund 17.600 Arbeitsuchenden nur 6.800 Personen Arbeitslosengeld erhalten. Sie sind im Schnitt 5,6 Monate arbeitslos. Betrachtet man alle Arbeitsuchenden, so sind 8.000 mehr als ein Jahr lang arbeitslos, das sind immerhin 45 Prozent.
Ist das Langzeitarbeitslosigkeit?
Ja. Nach der internationalen Definition beginnt die Langzeitarbeitslosigkeit bei zwölf Monaten. Dieser Zeitraum mag einem kurz vorkommen, doch er bereitet uns Sorgen. Je länger ein Mensch arbeitslos ist, desto schwieriger wird es für ihn, eine Arbeit zu finden. Seine Motivation nimmt ab, weil er immer wieder negative oder überhaupt keine Antworten bekommt. Besonders groß ist das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit bei den Arbeitsuchenden mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Behinderungen. Einer von vier Arbeitslosen fällt unter diese Kategorie.
Aus welchen Altersstufen?
Unter den Langzeitarbeitslosen sind viele Ältere. Ab 45 Jahren fängt es an, schwierig zu werden, aus der Arbeitslosigkeit heraus eine neue Beschäftigung zu finden. Die Leute können und wollen arbeiten, aber bekommen nichts. Seit dem 1. Januar haben wir zwei Maßnahmen, die uns erlauben, gezielter die Zielgruppen zu unterstützen, die es besonders schwer auf dem Arbeitsmarkt haben: die Arbeitslosen ab 45, die "reclassés" und die Arbeitsuchenden mit Behinderungen. Die eiste Maßnahme ist ein Wiedereingliederungsvertrag, der "contrat de réinsertion-emploi". Neu ist der "stage de professionnalisation". Dabei kann der Arbeitsuchende mehrere Wochen in einem Unternehmen arbeiten und bekommt eine Chance, sich zu beweisen. Während dieser Zeit bekommt er das Arbeitslosengeld weiter bezahlt. Zusätzlich bekommt er eine Aufwandsentschädigung von 323 Euro. Bekommt der Arbeitsuchende kein Arbeitslosengeld, wird lediglich die Aufwandsentschädigung gezahlt.
Wovon leben Langzeitarbeitslose bei nur zwölf Monaten Arbeitslosengeld?
Der Bezug von Arbeitslosengeld kann auf maximal 24 Monate verlängert werden, wenn es sich um ältere Arbeitsuchende handelt, die zuvor lange gearbeitet haben. Allerdings sind es nicht immer zwölf Monate. Wenn man nur sechs Monate gearbeitet hat, bekommt man auch nur sechs Monate lang Arbeitslosengeld. Europaweit ist das relativ kurz. Nach dem Arbeitslosengeld muss in der Regel das garantierte Mindesteinkommen, der RMG, beantragt werden. Wenn aber in einer Familie beide Partner arbeiten und einer seinen Job verliert, dann gibt es keinen RMG, wenn das verbleibende Einkommen oberhalb der gesetzlich festgelegten Einkommensgrenze liegt. Aber konkret bedeutet es, dass in der Haushaltskasse nur die Hälfte von dem ist, was man vorher hatte.
Wie viele Arbeitslose betreut ein Jobvermittler?
Im Schnitt betreut ein Berater rund 200 Arbeitsuchende. Das kann aber im Einzelfall ganz unterschiedlich sein. Berater, die Personen betreuen, die schnell vermittelbar sind, können mehr als 200 Fälle betreuen. Zudem haben wir eine Reihe spezialisierter Berater, die Arbeitsuchende betreuen, die Probleme haben, um auf dem Arbeitsmarkt schnell wieder Fuß zu fassen. Diese betreuen in der Regel weniger als 100 Kunden, weil es oft auch um psychische oder soziale Probleme geht.
Wie oft muss man vorstellig werden?
Man muss einmal im Monat persönlich erscheinen. Das gibt es europaweit kaum noch. Was uns aber wichtig erscheint, weil dann der persönliche Kontakt zum Berater besteht. Das gilt auch für die rund 2.700 Grenzgänger, die bei uns eingeschrieben sind.
Stefan Kunzmann