Katastrophe oder Klimawandel?

Wie kam es zu dem verheerenden Hochwasser von Mittwoch und Donnerstag? Ist die Katastrophe tatsächlich ein Vorbote des Klimawandels? Laurent Pfister vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) erforscht als Hydrologe Niederschläge, Wasserkreisläufe und Einzugsgebiete in Luxemburg. Ein Gespräch.

Source : Tageblatt
Date de publication : 17/07/2021

 

Tageblatt: Wie entsteht überhaupt ein Hochwasser?

Laurent Pfister: Hochwasser in großen Flüssen oder Gewässern entsteht tatsächlich eigentlich in den „kleinen“ Einzugsgebieten. Verschiedene Prozesse führen dazu, dass viel Oberflächenabfluss generiert wird. Und das passiert hauptsächlich in den höher gelegenen Einzugsgebieten. 

Ein Einzugsgebiet wird am einfachsten mithilfe der Topografie definiert: Erhebungen, die ein Tal limitieren – das ist ein Einzugsgebiet. Auch die Geologie spielt eine große Rolle, sie kann eine ganz andere Form haben als die Topografie. Aber wir wissen darüber in Luxemburg ziemlich genau Bescheid. 

Welche Rolle spielt denn die Geologie dabei? 

Was wir in den vergangenen Jahren gelernt haben, ist, dass es in Luxemburg auf kleinem Raum sehr viele Gesteinstypen gibt. Die einen sind sehr wasserdurchlässig, die anderen weniger. Es gibt Einzugsgebiete mit verschiedenen  Gesteinssorten. Das führt dazu, dass das System sehr heterogen ist. 

Ein anderes Element ist die Auffangkapazität des Untergrunds. Bei manchen ist das Ende schnell erreicht, andere wirken wie ein gigantischer Schwamm. Irgendwann kommt jeder Untergrund an sein Limit, aber das wird nicht überall zur gleichen Zeit erreicht. 

Wie genau kann man vorhersagen, wie die Pegel in Flüssen und Bächen ansteigen? 

Dafür sind die Vorhersagemodelle da, die das Wasserwirtschaftsamt betreibt. Dort hat man schon relativ früh erkannt, dass die Situation kritisch ist und dass es zu Überschwemmungen kommen kann. Das Schwierige ist immer: Man weiß nie genau, wo die stärksten Regenintensitäten herunterkommen. Es geht ja darum, zu wissen, wo der stärkste Niederschlag runterkommt und wie es um die Auffangkapazität in diesem Gebiet beschaffen ist. 

Was genau hat zu den Überschwemmungen in Luxemburg geführt?

Das Kritische bei einem Ereignis wie am Mittwoch und Donnerstag: Es hatte einfach über einen längeren Zeitraum nicht unbedingt sehr intensiv, aber doch über Stunden von der Regenmenge her sehr viel geregnet.  Das hat dazu geführt, dass flächendeckend ganz große Gebiete gesättigt wurden und quasi keine Auffangkapazitäten mehr bestanden haben. Und wenn darauf auch nur ein Niederschlag mittlerer Intensität fällt, fließt das Wasser in kurzer Zeit in die Flüsse und Bäche – und das führt zu massiven Überschwemmungen. 

Der Regen vorher hat also auch eine Rolle gespielt? 

Absolut, das spielt definitiv eine Rolle, weil einfach die Auffangkapazität für dieses Jahr viel geringer war, als es normalerweise der Fall ist. 

In einigen Orten gab es massive Schäden, in anderen gar keine. Woran liegt das? 

Wir sind noch dabei, die Daten zu sammeln und eine detaillierte Analyse zu erstellen, welche Prozesse wo passiert sind. Es sind gibt viele Faktoren, der Niederschlag ist einer, aber er alleine führt nicht zu Hochwasser. Es kommen andere Faktoren dazu: Topografie, Geologie, auch die Form des Einzugsgebiets ist sehr ausschlaggebend. 

Wie lange dauert es, bis das Wasser abgelaufen ist? 

Das hängt von der Größe des jeweiligen Einzugsgebiets ab. Wir haben verschiedene kleinere Einzugsgebiete, in denen die Pegel jetzt schon fast wieder im Normalzustand sind. Bei anderen wird es noch ein paar Tage bis zu einer Woche dauern. 

War das Unwetter dem Klimawandel geschuldet? 

Das ist eine Frage, die man nicht direkt mit ja oder nein beantworten kann. Ein einzelnes Ereignis macht an sich noch keinen Klimawandel aus. Aber es gibt eine Anhäufung von Extremereignissen, allein wenn wir nur auf Luxemburg schauen: 2016 und 2018 Sturzfluten, auch in den anderen Teilen des Landes starke Niederschläge mit Sachschäden. Und auch vor ein paar Wochen hatten wir Starkregen mit erheblichen Schäden. Es ist einfach diese Anhäufung von Extremereignissen, die eigentlich dafür spricht, dass es sich hier um einen vom Klimawandel mitgetragenen Wandel handelt. 

Ich sage nicht, dass es das früher nicht gegeben hat, da gab es auch Sommer, in denen es viel geregnet hat. Aber die Intensität und die Häufigkeit der Ereignisse nimmt zu – und das ist doch besorgniserregend. 

Kommt der Klimawandel also schneller, als wir dachten? 

Es muss nicht sein, dass wir jedes Jahr die nächste Katastrophe haben. Es können durchaus wieder Phasen kommen, in denen sich die Lage beruhigt. Es ist ein sehr komplexes System mit sehr vielen Feedback-Mechanismen. Aber es ist nicht das einzelne Ereignis, sondern die Anhäufung. Momentan ist es so, dass alles darauf hindeutet, dass der Klimawandel wirklich da ist. Aber das heißt umgekehrt nicht, dass jedes Hochwasser oder jede Sturzflut dem Klimawandel zu schulden ist. Nehmen wir an, es hätte keine menschengemachten Treibhausgas-Emissionen gegeben – dann hätte es durchaus sein können, dass wir dieses Jahr dennoch ein Hochwasser gehabt hätten. 

Wie können wir uns auf solche Ereignisse vorbereiten?

Man darf jetzt nicht in den Katastrophismus verfallen und sagen: Wir werden das jedes Jahr haben. In den 90ern gab es dreimal hintereinander große Überschwemmungen, auch damals wurde schon befürchtet, dass der Klimawandel dafür der Grund sein könnte. Und dann war es ganz lange ruhig, es begann erneut, dann war es wieder fünf bis sechs Jahre ruhig. Und jetzt, seit ein paar Jahren, passiert wieder eher viel.  

Wird es in der Zukunft öfter zu diesen Ereignissen kommen? 

Ja, aber ich bleibe dabei: Das Hochwasser der vergangenen Woche war wirklich ein außergewöhnliches Ereignis und ich hoffe nicht, dass es dazu kommt, dass wir das alle paar Jahre haben. Aber wir müssen uns einfach darauf einstellen, dass Ereignisse, bei denen früher gesagt wurde, dass sie alle 100 Jahre stattfinden, höchstwahrscheinlich etwas öfter kommen. Wie oft genau kann niemand sagen – das sind statistische Größen. 

Wenn das erst der Anfang ist – wie sieht es in 50 Jahren aus? 

Es gibt verschiedene Szenarien, die von „alles geht so weiter wie jetzt“ reichen bis dahin, dass wir es schaffen, die Erderwärmung zu stoppen – und alles dazwischen. Es ist schwer vorauszusehen, wohin es in den nächsten 50 Jahren geht, ich kann nur sagen: Wir müssen weiter daran arbeiten, es so gut zu verstehen wie möglich. 

Tobias Senzig

 

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