Ohne Industrie weniger Innovation

Am 1. Januar 2015 sind die Forschungszentren CRP Henri Tudor und CRP Gabriel Lippmann zum großen Luxemburger Forschungszentrum LIST fusioniert. Geschäftsführer des „Luxembourg Institute for Science and Technology“ mit seinen mehr als 650 Mitarbeitern wurde Gabriel Crean. Der gebürtige Ire war am Samstagabend Gastredner bei der 57. „Journée de l’ingénieur“. Er vermittelte klare Botschaften.

Source : Tageblatt
Date de publication : 25/01/2016

 

„Innovation ist ein Schlüsselelement des wirtschaftlichen Wachstums in Europa“, so Professor Dr. Gabriel Crean. Offizielle Statistiken belegen klar, dass die Regionen in Europa, die viel auf Innovation setzen, schneller wachsen, mehr Wohlstand schaffen und weniger Arbeitslosigkeit verzeichnen.

Doch das alles komme nicht von allein. Die wichtigste Voraussetzung für Innovation sei das Vorhandensein von Industrie. Sie stehe in Europa zwar nur für 14 Prozent der Beschäftigung – dafür aber für 57 Prozent aller Exporte und 77 Prozent bei den Forschungsausgaben der Unternehmen. „Deshalb darf Europa seine Industrie nicht verlieren“, warnt der neue Geschäftsführer des größten Luxemburger Forschungszentrums. In den 30 letzten Jahren sei viel Aktivität aus Europa in Länder wie China, Indien und Pakistan verlagert worden.

Und „die Forschungsausgaben folgen den Unternehmensverlagerungen“, warnt der Professor weiter. „Es wird zu einer Herausforderung, die Forschungsausgaben der Unternehmen in Europa zu halten.“ Deutsche Unternehmen würden bereits heute mehr Geld für Forschung im Ausland als im Inland ausgeben. Insgesamt würden die Forschungsausgaben der Unternehmen in der Welt zulegen. „In den USA und in Asien steigen sie – in Europa stagnieren sie. Wir müssen die Firmen überzeugen, ihre Forschung hier zu tätigen.“

Skepsis gegenüber internationalen Rankings

Weiter warnt er das Land davor, sich an guten Resultaten in internationalen Rankings zu sehr zu erfreuen. „Im Wettbewerb um die Zukunft müssen wir wieder zu mehr Realismus und Bescheidenheit finden“, so Gabriel Crean. Als Beispiel nimmt er den „Global Innovation Index“, wo sich Luxemburg im weltweiten Vergleich an sehr guter neunter Stelle wiederfindet. Die Investitionen in Datacenter und in Glasfaser hätten hierzu gereicht. Besser sei es, sich den viel komplexeren „Bloomberg Innovation Index“ anzuschauen. Insgesamt schneidet Luxemburg hier mit einem 28. Platz auch nicht schlecht ab. In Bereichen wie Ausbildung oder beim Vorhandensein von Hightech-Firmen belegt es jedoch nur einen 39. bzw. 40. Platz.

Die Bedeutung der Industrie nimmt ab

Luxemburg stehe vor großen Herausforderungen, so Gabriel Crean weiter. Die Industrie des Landes – im Vergleich zur gesamten Wirtschaftsleistung – sei in den letzten 30 Jahren von 15 auf sieben Prozent geschrumpft. Luxemburg sei abhängig vom Finanzsektor, und der stehe weltweit vor großen Herausforderungen. Das Land habe „einen dringenden Bedarf“, sich wieder zu re-industrialisieren.

„Wir geben Geld für die Forschung aus. Aber oft nicht für die richtigen Dinge“, so der Professor weiter. Er plädiert dabei für mehr Investitionen in angewandte Wissenschaften anstelle der Grundlagenforschung. Länder wie die USA, China oder Japan investieren nur 24, 13 oder 21 Prozent ihrer Forschungsausgaben in die akademische Forschung. In Luxemburg hingegen seien es 56 Prozent. „Haben wir genug auf die angewandte Wissenschaft gesetzt?“

Zudem dauere in Europa und in Luxemburg alles zu lange, so Gabriel Crean. In den USA schaffe man neue Forschungszentren ohne jahrelange Diskussionen und ohne ewig dauernde Studien. Dort wolle man neue Produkte entwickeln. Gut findet er die Gründung eines Zentrums für „composite materials“ in Luxemburg. „Aber es dauert alles zu lange. Wir reden über smart-grids und smart-meters. Wir müssen handeln.“

„Wir werden im Wettbewerb nicht mithalten können, wenn wir nicht die richtigen Dinge finanzieren“, warnt Gabriel Crean weiter. Singapur habe vor Kurzem einen neuen Fünf-Jahres-Plan für Forschung und Entwicklung vorgelegt. Ganze 85 Prozent der Gesamtsumme seien für die angewandte wissenschaftliche Forschung vorgesehen.

„Das ist die Welt, in der wir leben. Deshalb müssen zuerst die Regierungen Gelder in die Forschung stecken. Dann folgen die Firmen. Ohne das staatliche Geld geht es nicht.“ Für Luxemburg ist er dennoch optimistisch eingestellt. „Es gibt sehr viele Möglichkeiten hier.“ Ein Bereich, in dem er viel Potenzial und gute Chancen sieht, sind „Generative Fertigungsverfahren“ (Additive Manufacturing). Ein weiterer Bereich ist die Analyse von Big Data, respektive das Herausfiltern von Daten. Zudem werde das LIST künftig mehr Fokus auf die Entwicklung von Prototypen und von Software legen.

„Für das alles braucht man gute Computer und viel Speicherplatz“, so Gabriel Crean. „Also genau das, was Luxemburgs delegierter Minister für Forschung, Marc Hansen, im Namen der Regierung im November angekündigt hatte.“ Die Regierung habe, mit einigen anderen europäischen Ländern, ein „Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“ über Anwendungen mit High Performance Computing und Big Data, ins Leben gerufen. „Luxemburg kann die Führung übernehmen – wenn es will.“

„Association da Vinci“

Eingeladen zur 57. „Journée de l’ingénieur“ in der Handelskammer auf Kirchberg hatte die Vereinigung „Association da Vinci“. Es ist dies ein Zusammenschluss von drei Vereinigungen („Association luxembourgeoise des ingénieurs, architectes et industriels“, „Association luxembourgeoise des ingénieurs“, Technology Managers.lu). Die Vereinigung „Ordre des architectes et des ingénieurs-conseils“ zählt als Partner.

Ziel der „Association da Vinci“ ist es, Wissenschaftler, Ingenieure, Industrielle und Architekten miteinander in Verbindung zu bringen und ihre Interessen zu vertreten.

„Es gab einen gemeinsamen Sockel, auf den wir bauen konnten“, so Präsident Marc Solvi. Man stehe für „eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung, die sich auf den Fortschritt von Wissenschaft und Technik stützt“.

Die Vereinigung zählt mehr als 3.000 Mitglieder.

„Leider müssen wir feststellen, dass sich zu wenig Studenten für einen Beruf als Ingenieur interessieren“, so der ehemalige Geschäftsführer von Paul Wurth weiter.

Dabei sei es einfach, als Ingenieur einen guten Beruf zu finden. Und auch in den kom menden Jahrzehnten „wird es für Ingenieure keine Krise geben“.


Zur Person

Gabriel Crean wurde in Irland geboren und hat in Dublin sowie am „Institut national polytechnique de Grenoble“ studiert. Ehe er LIST-Geschäftsführer wurde, war er bei der „Direction de la recherche technologique“ des französischen „Commissariat à l’énergie atomique et aux énergies alternatives“ als Vizepräsident für Technologie und als Direktor für Europa tätig. Als Professor arbeitet er unter anderem an der Wroclaw University of Technology, Polen. Er hat Erfahrung als Berater, etwa der EU-Kommission, in Sachen Innovation. Gabriel Crean ist Mit-Gründer von drei HiTech-Unternehmen, die mit Risikokapital gegründet wurden.
 


Christian Muller

 

 

 

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