Vor der nächsten Flut

Das Wasserwirtschaftsamt trifft Vorkehrungen für künftigen Starkregen – und erstellt eine nationale Risikokarte

Source : Luxemburger Wort
Publication date : 04/05/2019

 

Starkregen ist ein tückisches Phänomen: Er schlägt ohne Vorwarnung zu und verursacht hohe Schäden. Zweimal, nämlich im Sommer 2016 und 2018, prasselte der Starkregen auf mehrere Dörfer in Luxemburg nieder und führte dort zu Sturzfluten, die Häuser unter Wasser setzten, Straßen wegschwemmten und Mauern eindrückten.

Beim Wasserwirtschaftsamt sieht man die Zunahme des extremen Regens – lokal fallen dann innerhalb weniger Stunden riesige Niederschlagsmengen – mit Besorgnis. Bereits auf die Sturzflut im Tal der Weißen Ernz am 22. Juli 2016 hat man in der Behörde reagiert und eine Stelle für einen Starkregen-Experten geschaffen. Seit anderthalb Jahren untersucht Projektleiter Claude Meisch das Phänomen und entwickelt Vorschläge, wie man die Folgen des Unwetters zumindest abfedern kann.

Denn abwenden oder verringern lassen sich die extremen Niederschläge nicht. „Ich denke, dass wir schon mitten drin im Klimawandel stecken“, sagt Jean-Paul Lickes, Direktor des Wasserwirtschaftsamtes. „Wir müssen uns den neuen Gegebenheiten anpassen. Es wäre nicht richtig, damit zu warten.“

Schäden begrenzen

Die gute Nachricht: Der Mensch kann eine ganze Menge tun, um die Schäden zu begrenzen. Die Maßnahmen reichen von Gründächern und Retentionsbecken über die Renaturierung von Flüssen und Bächen, begrünten Uferstreifen, der Hochwassersicherung von Gebäuden bis hin zur Modernisierung des Kanalnetzes. Die schlechte Nachricht: Vor allem die Erneuerung der unterirdischen Infrastruktur ist teuer und mit Dauerbaustellen verbunden. „Wir machen uns damit nicht populär“, gibt Jean-Paul Lickes zu.

Immer wieder trifft der Verwaltungschef auf geringes Risikobewusstsein und mangelndes Verständnis der Akteure. Besonders schwierig sei es für das Wasserwirtschaftsamt, die benötigten Grundstücke am Rand von Gewässern zu erwerben, um damit die Flussufer zu renaturieren. „Obwohl die Streifen oft nur zehn Meter breit sind, dauert es sehr lange, bis alle Eigentümer zustimmen.“

Gerade bei den verheerenden Überschwemmungen im Tal der Weißen und der Schwarzen Ernz halte die Aufmerksamkeit nur wenige Tage an, bedauert Lickes.

Hinzu kommt: Niemand weiß, wo in Luxemburg der nächste Starkregen niedergehen wird. Eigentlich müsste im ganzen Land Vorsorge getroffen werden – eine Herkulesaufgabe.

Während die Sturzflut von 2016 im Tal der Weißen Ernz rund 80 private Wohnhäuser beschädigte, waren es an der Schwarzen Ernz zwei Jahre später hauptsächlich Familienbetriebe wie das Hotel Le Cigalon, Campingplätze und eine Autowerkstatt, die durch das Wasser verwüstet wurden. Das Familienministerium unterstützte die privaten Überschwemmungsopfer, das Wirtschaftsministerium ersetzte einen Teil der Schäden von Kleinunternehmen.

Wäre es angesichts der hohen Kosten für Überschwemmungsschutz, Renaturierung und den Umbau des Kanalnetzes nicht sinnvoll, auf Baumaßnahmen ganz zu verzichten und stattdessen die Betroffenen finanziell zu entschädigen? Jean-Paul Lickes winkt ab. Eine solche Lösung wäre „nicht vertretbar“. Finanzielle Schäden könne man zwar ersetzen, „aber bei beiden Überflutungen war es nur dem Zufall zu verdanken, dass keine Menschen getötet wurden“.

Karte erlaubt präzise Aussagen

Starkregen ist ein lokales Phänomen. Ausgelöst wird er durch Gewitterzellen, die ihre gesamte Last über einer Handvoll Dörfern abregnen und ihre zerstörerische Kraft auf kleinem Gebiet entfalten. Um das Überschwemmungsrisiko genau einschätzen zu können, erstellt das Wasserwirtschaftsamt noch bis Ende 2019 eine Starkregenkarte. Sie soll für das ganze Land genau aufzeigen, welche Folgen die extremen Regenfälle hätten. „Dahinter steht eine umfangreiche Computersimulation“, erklärt Projektleiter Claude Meisch. „Wir haben uns gefragt: Was würde geschehen, wenn in dieser oder jener Region Starkregen niederginge. Mit der Simulation können wir die Höhe der möglichen Überschwemmungen bestimmen.“

Auf dieser Karte kann jeder Hausbesitzer in Luxemburg sein persönliches Risiko ablesen, von einer Überflutung heimgesucht zu werden. Wer in der höchsten Gefahrenzone wohnt, kann sich zum Beispiel mit wasserdichten Kellerfenstern, besonders gesicherten Lichtschächten und Dämmsystemen für die Eingangstür schützen.

Warnen, wenn der Regen fällt

Selbst mit modernen technischen Mitteln lassen sich Sturzfluten nicht voraussagen. Ein vom Fonds National de la Recherche unterstütztes Projekt soll dazu führen, dass bei einsetzendem Starkregen möglichst rasch ein automatischer Alarm ausgelöst wird. Rettungskräfte können sich dann auf den Weg machen, noch bevor der erste Anwohner sich per Telefon meldet.

Das Forschungsprojekt, an dem neben der Abteilung Hydrologie des Luxembourg Institute for Science and Technology (LIST) auch das Wasserwirtschaftsamt und die Luxemburger Post beteiligt sind, arbeitet mit einem dichten Netz von untereinander vernetzten Sensoren, zunächst beschränkt auf das Tal der Weißen Ernz. Die Sensoren messen in kurzen Abständen Regenmengen, Wasserstände von Flüssen und Bächen sowie die Wassertemperatur. Damit die Geräte auch im Katastrophenfall funktionieren, arbeiten sie unabhängig vom Stromnetz und sind gegen Überschwemmungen gesichert.

Derzeit prüft die Post, die für die Messtechnik und die Datenübertragung zuständig ist, die geeigneten Standorte, im Mai sollen die Geräte bereits Messdaten liefern.

LIST-Hydrologin Audrey Douinot erstellt bis Dezember 2020 dann ein Computer-Modell, mit dem genauere Vorhersagen zum Fließverhalten der Bäche und Flüsse sowie zu Überschwemmungen als Folge von Starkregen möglich sind. Solche Computermodelle sind wegen der zahllosen Einflussfaktoren überaus kompliziert. „Keine Sturzflut gleicht der anderen“, meint Laurent Pfister, wissenschaftlicher Leiter der Abteilung Hydrologie am LIST. Das Modell ist zwar auf das Becken der Weißen Ernz gemünzt, die Erkenntnisse sollen aber auf andere Gebiete Luxemburgs übertragbar sein.

Für die kommenden Jahre steht das Ziel im Raum, die gefährdeten Flusstäler mit einem Netz von Sensoren auszustatten, die gleich zu Beginn von Starkregenfällen Alarm auslösen. „Bisher hatten wir ja keine automatische Frühwarnung“, sagt Christine Bastian, stellvertretende Leiterin der Abteilung Hydrologie beim Wasserwirtschaftsamt. „Die Rettungskräfte rückten erst aus, wenn die Leute sich beim Notruf meldeten.“ Gerade nachts geht vom Beginn des Starkregens bis zum ersten Anruf wertvolle Zeit verloren. Die Öffentlichkeit soll über den beginnenden Starkregen nicht informiert werden. Audrey Douinot: „Die Leute könnten dann in Panik verfallen. Oder andersherum: Bei häufigen Warnungen ohne dramatische Folgen würden sie abstumpfen.“

Die Rolle des Klimawandels

Die Erderwärmung führt zu mehr extremen Wetterereignissen, auch in unseren Breiten. Doch ist sie auch die Ursache für Starkregen? Beweisen lässt sich das mit den gängigen Messmethoden nicht, denn heftiger Sommerregen mit Sturzfluten gab es in Luxemburg schon immer, besonders schlimm im Müllerthal am 1. Juli 1958. Trotzdem: „Der Zusammenhang liegt nahe“, sagt Hydrologe Laurent Pfister vom LIST. Erwärmt sich die Luft, kann sie mehr Wasserdampf aufnehmen und liefert die Energie für Gewitter. „Es kommt aber auch auf das Timing an“, sagt Laurent Pfister. So sind 25 Liter Regen pro Quadratmeter über einen ganzen Tag verteilt unbedenklich, innerhalb einer Viertelstunde kann diese Menge eine Katastrophe auslösen.

Daten des LIST zeigen, dass Starkregenereignisse in den letzten 20 Jahren zwar nicht in der Intensität, aber in der Häufigkeit zugenommen haben, in manchen Jahren mit zwei oder drei Ereignissen. Dieser Befund deckt sich mit internationalen Daten aus den USA, Europa und Australien, die alle von einer deutlichen Zunahme von Extremniederschlägen ausgehen.


Volker Bingenheimer

 

 

 

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