Vollreif und mit viel Alkohol

Der Klimawandel macht die Mosel ein Stückchen mediterraner. Zwei Wissenschaftler forschen daran, wie der Wein der Zukunft schmecken wird.

Source : Luxemburger Wort
Publication date : 10/23/2019

 

Der Klimawandel dominiert als Schreckgespenst die Schlagzeilen. Dass er trotz all seiner Gefahren auch positive Aspekte mit sich bringt, zeigt ein Blick auf den Weinbau. Viel Sonne im Frühling und ein warmer Sommer lassen die Reben nämlich prächtig gedeihen und sorgen bereits im frühen Herbst für vollreife Trauben.

Obwohl auch die Winzer extreme Wetterausschläge registrieren, sind sie eine Sorge erst einmal los: Schlechte Weinjahre mit kühlen, verregneten Sommermonaten gibt es an der Luxemburger Mosel schon seit geraumer Zeit nicht mehr. „Noch in den 1970er- und 1980er-Jahren kam es häufiger vor, dass selbst die Rebsorte Rivaner, die wenig Wärme benötigt, nicht ausreifte. Jetzt werden die Trauben in jedem Jahr reif“, sagt Daniel Molitor, Weinwissenschaftler am Luxembourg Institute of science and technology (LIST). Er denkt an den sehr heißen Sommer 2018, der den Winzern durch eine außergewöhnlich frühe Lese in Erinnerung ist. „Das war vermutlich das erste Mal, dass hierzulande Trauben frühzeitig geerntet werden mussten, weil zu hohe Zuckergehalte drohten.“

In Grafiken hat er die Daten der kleinen Wetterstation am Remicher Weinbauinstitut (IVV) zusammengefasst. Sie zeigen, dass es seit Anfang der 1990er-Jahre mit den Durchschnittstemperaturen – abgesehen von einzelnen Ausreißern – stetig bergauf geht. „Für die Reife der traditionellen Rebsorten, wie sie hier an der Mosel angebaut werden, herrschen jetzt optimale Wärmebedingungen“, resümiert Daniel Molitor.

Und er geht noch weiter: Die Winzer könnten ihr Spektrum erweitern und künftig auch spät reifende Sorten anbauen, die eigentlich in südlicheren Gegenden beheimatet sind. So wachsen im Versuchsweinberg beim IVV in Remich bereits Sorten wie Syrah oder Grenache, die sehr viel Sonne brauchen. In warmen Sommern wie in diesem und im letzten Jahr reifen selbst sie gut aus. In einem von Molitors Aufsätzen heißt es: „Die Wärme führt zu reiferen, hochwertigeren, gehaltvolleren und in Bezug auf die Säure bekömmlicheren Weinen, welche einen gesteigerten Trinkgenuss und eine höhere Akzeptanz beim Verbraucher erwarten lassen.“

Fäulnis durch feuchte Wärme

Wenn man Daniel Molitor zuhört, folgen diesem positiven Befund jedoch eine Reihe von Einschränkungen. Da ist zum einen die Gefahr der Fäulnis. Sie droht immer dann, wenn Wärme und Feuchtigkeit zusammentreffen. „Durch den Klimawandel verlagert sich die Entwicklung im Jahresverlauf nach vorne: die Blüte, der Reifebeginn der Trauben und die Lese. Es könnte sein, dass die Trauben in Zukunft die Reife nicht voll auskosten können, weil die Winzer wegen der Fäulnisgefahr gezwungen sind, früher zu ernten.“

Extremwetter nimmt zu

Als weiteres Risiko bedroht die Trockenheit den Ertrag der Winzer. Besonders junge Rebstöcke, deren Wurzeln noch nicht in tiefere Bodenschichten reichen, sind ihr ausgesetzt. Trifft die reifenden Beeren starke Sonneneinstrahlung, so können sie vertrocknen. Der Fachmann spricht dann von Sonnenbrand, der auch in diesem Sommer zugeschlagen hat. Die bisherige Bilanz ist nicht mehr als eine Momentaufnahme, während der Klimawandel unaufhörlich fortschreitet. Die Frage ist deshalb, wie die Bedingungen für den Weinbau in fernerer Zukunft, etwa im Jahr 2060, aussehen.

Damit beschäftigt sich Molitors Kollege Jürgen Junk. Der Klimaforscher am LIST erstellt Projektionen, die bis zum Ende dieses Jahrhunderts reichen. Die Klimamodelle werden zwar immer komplexer, doch bei solch fernen Zeiträumen sind die Forscher immer auf Annahmen angewiesen – zumal heute noch niemand weiß, wie sich der Kohlendioxid-Ausstoß der Menschheit in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird. In seinen Projektionen hat Jürgen Junk ausgerechnet, dass sich die Jahresdurchschnittstemperatur im Zeitraum 2061-2090 um 2,6 Grad Celsius erhöhen wird – dies bei einem mittleren Szenario.

In dem für den Weinbau besonders wichtigen Zeitraum der Reife – etwa Anfang August bis Ende September – beträgt der Temperaturanstieg sogar 5,1 Grad. Die Sommermonate in dieser Zeit werden nach Junks Berechnungen typischerweise schwülwarm, auch trockene Sommer wird es häufiger geben. „Zudem werden Extremereignisse wie Starkregen, Hitzewellen und Hagel aller Voraussicht nach zunehmen“, fügt Junk hinzu.

Solch starke Veränderungen werden natürlich ihre Spuren im Weinbau hinterlassen. Daniel Molitor bringt es auf den Punkt: „Die Typizität der Weine könnte sich verändern.“ Während bisher die Winzer das Augenmerk auf ausreichende Reife und damit genügend Zuckergehalt legten, werden sie in Zukunft darauf achten, dass der Zucker und damit der Alkoholgehalt im Wein nicht zu hoch liegen. Ein weiteres Risiko ist der Säureabbau durch zu viel Wärme: Rutscht der Säuregehalt in den Keller, verlieren die Weine ihre Spritzigkeit und schmecken flach.

Blick nach Süden

Trotz alledem schlägt der Klimawandel hierzulande nicht ganz so hart zu wie in südlichen Ländern. Daniel Molitor arbeitet im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts Clim4Vitis auch mit Önologen in Italien und Portugal zusammen. „Die haben schon jetzt viel schwerwiegendere Probleme mit Hitze und Trockenheit.“

Für die Winzer bedeutet der Klimawandel also Chance und Risiko zugleich: Sie können zwar eine größere Sortenvielfalt anbauen, müssen aber auf extreme Wetterlagen gefasst sein und eingewanderte Schädlinge bekämpfen. Und schließlich müssen sie dem traditionellen Eiswein Adieu sagen. Weil nach Jürgen Junks Berechnungen strenger Frost gerade im November und Dezember eine absolute Seltenheit wird, lohnt es sich nicht mehr, Parzellen für Eiswein auszuwählen.

Volker Bingenheimer

 

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