Abgetaucht, aber nicht verschwunden

Mit mehr Daten über das Corona-Virus wollen Forscher eine zweite Welle verhindern.

Source : Luxemburger Wort
Publication date : 05/29/2020

 

Mit einer landesweiten Testkampagne, dem sogenannten Large Scale Testing, werden seit vergangenem Mittwoch große Teile der luxemburgischen Bevölkerung auf das SARS-CoV-2- Virus hin untersucht. Forscher von Research Luxembourg erklärten gestern noch einmal die Bedeutung dieser Testreihe für eine Rückkehr zu einem mehr oder weniger normalen Alltag. Zudemlegten sie weiteres aktuelles Zahlenmaterial und zum Teil sehr interessante Forschungsergebnisse vor.

Laut Paul Wilmes, Sprecher der Covid-19-Task-Force, geht man in Luxemburg aktuell von 95 aktiven Infektionsfällen aus. Insgesamt wurden 4 008 positive Tests vorgenommen, 110 Menschen verstarben am Virus, das Durchschnittsalter der Verstorbenen betrug 84 Jahre. Die Infektionsrate sei weiter gesunken, dies auf einen Wert von 0,580. Trotzdem gelte es, wachsam zu bleiben: Immerhin habe Luxemburg eine der höchsten Infektionsraten pro 100 000 Einwohner aufgewiesen. Mit 516 Infektionen pro 100 000 Einwohner belegt das Großherzogtum im Gesamtzeitraum vom 22. Januar bis zum 27. Mai den fünften Platz weltweit, noch vor den USA.

Zu früh für Rückkehr ins Büro

Zudem sei die Prävalenz in den Nachbarregionen in Belgien und Frankreich hoch, sodass eine komplette Önung des Arbeitsmarkts ohne Homeoce ein hohes Risiko einer zweiten Welle nach sich ziehen würde. „Das Large Scale Testing ist also eine
Maßnahme, mit der ein sicheres Lockern der Kontaktregeln und damit eine Rückkehr zu einem mehr oder weniger normalen Alltag möglich ist“, so Wilmes.

Es geht dabei in erster Linie darum, asymptomatische Virusträger zu finden, Kontakte zurückzuverfolgen und Infektionsketten zu brechen. Eine Auswahl von Personen aus Risikogruppen wie Angestellte in Gesundheitsberufen oder Pfleger wird dabei alle zwei Wochen getestet, ab der ersten Juniwoche soll auch der Rest der Bevölkerung gestestet werden. Dabei sollen bis zu 20 000 Tests am Tag durchgeführt werden. „Durch das regelmäßige Scannen der Risikobevölkerung und das einmalige Scannen der Restbevölkerung haben wir stets ein wachsames Auge auf die aktuelle Entwicklung“, erklärte Wilmes. „Taucht das Virus wieder verstärkt auf oder bilden sich gar Cluster, können wir sofort reagieren“.

2,6 Prozent tragen Antikörper

Wilmes erinnerte daran, dass die meisten Infektionen im eigenen Haushalt, beim gemeinsamen Essen, in geschlossenen, schlecht gelüfteten Räumen und in Transportmitteln erfolgen. Das systematische Testen auf Antikörper mache zurzeit
keinen Sinn, weil laut CON-VINCE-Studie nur 2,6 Prozent der Bevölkerung diese Antikörper gebildet haben. „Epidemiologisch spielt diese Information also zum jetzigen Zeitpunkt keine Rolle, da bräuchten wir Raten um die 70 Prozent, um eine
Herdenimmunität zu erreichen“, so Wilmes. Oder anders ausgedrückt: Ob eine Person Antikörper hat, ist keine Information, die eine zweite Welle verhindern kann.

Verschiedene Modellberechnungen belegen zudem, welchen Einfluss welche Art von Lockerung auf die Infektionszahlen hat. Entscheidend sind dabei die Anzahl der Personen, die sich begegnen, die soziale Distanzierung sowie das Testen und die
Rückverfolgung.

„Würden wir am 1. Juni alles komplett önen ohne irgendwelche Regeln, bekämen wir ab Juli eine zweite Welle, die sehr viel schlimmer als die erste verlaufen würde“, so Alexander Skupin, Forscher an der Uni Luxemburg. Die Forscher gehen dabei in diesem Szenario in jedem Fall davon aus, dass eine zweite Welle kommt. Die Frage ist nur, wie stark und kontrollierbar sie werden wird.

CON-VINCE-Studie erfolgreich

Vorgestellt wurden gestern zudem die aktuellen Resultate der CON-VINCE-Studie, an der 1 800 ausgewählte Bürger beteiligt sind. Sie liefern in mehreren Phasen Nasenund Rachenabstriche sowie Blut- und Stuhlproben. „94 Prozent der Teilnehmer beteiligen sich weiterhin am Programm, das ist sehr ermutigend“, so Rejko Krüger vom Luxembourg Institute of Health.

Die Studie erlaubt, die Entwicklung des Virus innerhalb der Bevölkerung in mehreren Facetten zu beobachten. Dabei soll sie Antworten auf folgende Fragen liefern: Wie viele Menschen sind infiziert? Wie verändern sich diese Zahlen? Wie viele Menschen hatten Kontakt mit dem Virus? Aktuell sind zwei von insgesamt 1 751 Teilnehmern der Studie positiv getestet worden, landesweit dürften damit 402 Personen das Virus symptomfrei tragen. Antikör-per gegen das SARS-Cov-2-Virus zeigten nur 38 von insgesamt 1713 Getesteten. Die Forscher folgern daraus, dass die Prävalenz des Virus in Luxemburg zwischen dem 6. und dem 19. Mai 0,08 Prozent betrug. Das bedeutet konkret: Acht von 10 000 Menschen sind Virusträger.

Forschen im Abwasser

Um aufzuzeigen, wie sich das Virus in Luxemburg verbreitete, wurden auch die Abwässer untersucht. Das Virus wird nämlich über den Darm und zum Teil auch über den Urin ausgeschieden.

Das Projekt mit dem Namen CORONASTEPS leitet Henry-Michel Cauchie, Spezialist für Wasserbiologie im Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST). An insgesamt sieben Kläranlagen und an den Abwasserkanälen der Krankenhäuser
wurden seit dem Auftauchen des Virus regelmäßig Proben genommen. Damit wurden die Abwässer von rund 63 Prozent der Gesamtbevölkerung unter die Lupe genommen. Interessanterweise verfügte das LIST auch über Abwasserproben, die vor dem
Auftauchen des Virus entnommen wurden.

„Es zeigt sich sehr klar, dass das Virus bis zum 12. Februar abwesend war. Am 25. Februar wurden dann erste Virenspuren in der Kläranlage in Schiingen aufgespürt. Die gemessenen Werte verlaufen ziemlich genau mit der Kurve der tatsächlich festgestellten Infektionen in Luxemburg“, so Cauchie. Infektiös sind diese Virenreste laut jetzigem Stand der Forschung allerdings nicht mehr.

Testen für mehr Sicherheit

Das sogenannte Large Scale Testing, also das großflächige Testen ganzer Bevölkerungsgruppen, Einwohner und Grenzgänger eingeschlossen, wurde erst möglich, nachdem Testmaterial in ausreichender Menge zur Verfügung gestanden hatte. Seit dem 26. Mai und mindestens bis zum 28. Juli sollen bis zu 20 000 Menschen täglich an insgesamt 19 Stationen im ganzen Land getestet werden. 17 Teststellen sind als Drive-through ausgelegt, zwei als Walk & Bike-through. Die ausgewählten Personen werden angeschrieben, die Teilnahme ist freiwillig. Die Bevölkerung wird dabei in drei große Risikogruppen eingeteilt, die nacheinander getestet werden sollen. In Gruppe eins fallen sämtliche Berufsgruppen, die einem relativ hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind, darunter medizinische Berufe, Friseure, Polizisten, Erzieher oder auch noch Personal aus dem Horeca-Bereich. Insgesamt werden 45 000 Menschen dieser Gruppe zugeordnet. In Gruppe zwei befinden sich Menschen, die gerade eben zurück an ihren Arbeitsplatz gekehrt sind. In Gruppe drei schließlich können regionale oder sektorielle Übereinstimmungen den Ausschlag geben. Die Gruppe gilt als „Landesschnitt“, der wöchentlich getestet wird, sobald sämtliche Einschränkungen aufgehoben sind.

Jacques Ganser

 

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