„E-Autos alleine werden uns nicht retten“

Ein Elektroauto ist nicht uneingeschränkt „sauber“ – das dürfte mittlerweile klar sein. Die Herstellung der Batterie etwa hinterlässt auch einen ökologischen Fußabdruck. Um herauszufinden, wie verschiedene EAutos dabei im Vergleich zu Verbrennern abschneiden, haben Thomas Gibon und sein Team vom Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST) „Climobil“ entwickelt. Mit der App können Nutzer unter anderem die Emissionswerte verschiedener Fahrzeuge vergleichen, wobei auch die Produktion der einzelnen Komponenten, die Lebensdauer sowie die Art der Stromerzeugung mit einbezogen werden.

Source : Luxemburger Wort
Publication date : 02/12/2021

 

Thomas Gibon, worum geht es bei Climobil?

Der Ursprung liegt in der häufig auftretenden Frage, ob E-Autos besser sind als Benziner und Diesel-Fahrzeuge. Menschen fokussieren sich dabei auf zwei Dinge: Bei Diesel- und Benzinautos sind es die Emissionen beim Fahren. Bei E-Autos ist es die Batterieproduktion oder die Energie, die genutzt wird. Aber um einen fairen Vergleich zu bekommen, muss der komplette Lebenszyklus des Autos mitbeachtet werden – die Produktion des Autos, die Herstellung einer Batterie für ein E-Auto, die Elektrizität, die wir nutzen, wenn wir das E-Auto laden, die Lieferung und Verbrennung des Benzins im Verbrennermotor. Nur wenn man alle CO 2 -Emissionen dieser Vorgänge addiert, hat man einen fairen Vergleich.

Beziehen Sie die Daten für den Vergleich von den Herstellern?

Ja. Was Batteriegröße und Gewicht angeht, wissen wir auch, dass sie stimmen, das ist einfach nachzuvollziehen. Was den Verbrauch angeht, wissen wir, dass es nicht unbedingt so ist. Es ist bekannt, dass Diesel- und Benzinfahrzeuge mit geringerem CO 2 -Ausstoß geworben haben, als sie hatten. Aber auch bei den E-Autos ist der Verbrauch oft höher als angegeben. Im Vergleich zur offiziellen NEFZ-Angabe (Neuer Europäischer Fahrzyklus, Anm. d. Red.) haben wir rund 30 Prozent aufgeschlagen und halten uns damit an Rechnungen vom International Council on Clean Transportation (ICCT).

Was können die Anwender in der App lernen?

Wir spielen mit verschiedenen Parametern. Nutzer sollen verstehen, dass Resultate sich sehr einfach verändern können. Die Lebensdauer des Autos etwa verändert die Emissionen pro Kilometer. Oder die Batteriegröße. Wir wollen den Menschen verstehen helfen, dass Resultate oft nicht in Stein gemeißelt sind. Es muss nicht immer sein, dass ein E-Auto automatisch besser ist als anders angetriebene Fahrzeuge. Auch wenn es das oft ist.

Wie entstand die Idee zur App?

Die Abgeordnetenkammer hatte uns gebeten, Informationen auf eine Anfrage zusammenzutragen. Wir sollten erklären, warum E-Autos normalerweise besser als Diesel sind. Der Transportminister hatte eine Anfrage bekommen, weil in der Presse stand, dass acht Jahre Golf fahren der Produktion einer Batterie entspricht – ob er sich sicher sei, dass er mit dem Ausbau der Elektromobilität weitermachen wolle. Am Ende fanden wir heraus, dass es verschiedene Parameter gibt, die für die Antwort eine Rolle spielen. Daher haben wir den Rechner entwickelt und die Daten eingepflegt, die wir schon hatten.

Kann man sagen, ab wann ein Auto wirklich „grün“ ist?

Ein Auto ist niemals „grün“, das wollen wir zeigen. Solange man Autos produziert und nutzt und Energie braucht, um sie zu nutzen, steckt man Energie hinein, was bedeutet, dass es zu Emissionen kommt. Bei „sauber“ denken die meisten an CO 2 - Emissionen. Aber es gibt noch andere Aspekte. Allgemein kann man aber sagen, dass E-Autos immer besser werden. Der Vorteil ist, dass das Diesel-Fahrzeug in zehn Jahren genauso „schmutzig“ sein wird wie heute, während das E-Auto besser sein wird, weil die Elektrizität, die verwendet wird, „grüner“ wird.

Wie ist es mit Wasserstoff-autos?

Das haben wir nicht in Betracht gezogen, denn diese Autos waren 2018 nicht in Luxemburg erhältlich. Daneben gibt es nur einen Ort, an dem man sie hier laden kann. Was Wasserstoff angeht, so ist es auch nicht wirklich vorgesehen, diesen Antrieb für den privaten Transport zu nutzen. Ich denke, er wird eher für Langstreckentransporte genutzt. Ein Grund dafür ist, dass man damit weitere Strecken zurücklegen kann. Aber wenn wir die Energie betrachten, die es braucht, um Wasserstoff herzustellen, dann ist er auch nicht wirklich sauber. Und normalerweise fährt man täglich nicht mehr als 200 Kilometer, daher braucht man nicht unbedingt ein Fahrzeug, das weitere Strecken zurücklegen kann.

Wie sieht es mit Hybrid-Fahrzeugen aus?

Das ist auf dem Papier eine sehr gute Idee, denn man scheint von beidem das Beste zu bekommen. Für lange Strecken nutzt man Diesel oder Benzin, für kurze fährt man elektrisch. Es wurde aber nachgewiesen, dass Menschen Hybrid-Fahrzeuge so nicht nutzen. Die effizienteste Variante ist die, die man aufladen kann: Plug-in-Hybrid. Es gibt eine ICCT-Studie, die zeigt, dass die meisten Leute das Plug-in-Fahrzeug nicht so oft aufladen, wie sie sollten, so dass sie oft eine leere Batterie und einen ungenutzten Elektromotor mit sich herumschleppen, was manchmal eine noch schlechtere Umweltbilanz als ein reines Benzinfahrzeug hinterlässt.

In der App muss man auch das Land wählen, in dem man das Auto lädt – warum?

Jedes Land hat seinen eigenen Energiemix bei der Stromproduktion. Belgien versucht aus der Atomenergie auszusteigen und diese durch Gas zu ersetzen. Deutschland nutzt noch Kohle und versucht auch, aus der Atomenergie auszusteigen und auf erneuerbare Energien zu setzen. Frankreich wird vermutlich auch weiterhin Nuklearenergie nutzen. Drei verschiedene Fälle rund um Luxemburg, die verschiedene CO 2 -Emissionen pro Kilowattstunde nach sich ziehen. Diese Unterschiede werden mit der Wahl des Landes deutlich. Luxemburg produziert nur etwa 15 Prozent seiner eigenen Elektrizität, hauptsächlich über Windenergie und Biomasse, was gut ist. Aber das heißt, wir müssen 85 Prozent aus Deutschland, Frankreich und Belgien importieren. Wir haben also ein bisschen den Durchschnitt der drei Länder.

Was muss ich tun, wenn ich ein „green traveler“ sein will?

Zuerst einmal nur dann ein Auto kaufen, wenn man wirklich eins braucht. Ist das der Fall, sollte man etwas Kleines, Robustes kaufen, was nicht viel verbraucht. Und vielleicht Carsharing betreiben oder sich daran beteiligen. Zudem sollte man schon zum E-Auto greifen. Dennoch werden uns elektrische Fahrzeuge alleine nicht retten. Wir müssen auch über unser Verhalten nachdenken. Wir sind unseren Autos sehr stark verbunden, aber es gibt hier einen kostenlosen ÖPNV, die Tram und immer mehr Radwege, daran sollten wir auch denken. Klar macht es Spaß, über das alles zu sprechen und zu vergleichen, ob E-Autos besser sind. Aber wir müssen realisieren, dass Autos insgesamt weniger wichtig werden sollten. Wir sollten versuchen, den Stellenwert des Autos zu reduzieren. Manchmal verdeckt die Debatte über E-Autos den Fakt, dass wir generell über andere Arten von Mobilität nachdenken sollten – wir sind noch zu sehr auf Autos fokussiert.

Zur App: t1p.de/widc

INTERVIEW: SARAH SCHÖTT

 

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