Der „Digitale Zwilling“ der Erde

Die Weltraumtechnologie kann einen Beitrag gegen den Klimawandel leisten

Source : Luxemburger Wort
Publication date : 11/25/2021

 

Die Überflutungen in Mitteleuropa im vergangenen Sommer kosteten über 200 Menschen das Leben. Die Schäden werden auf etwa 30 Milliarden Euro geschätzt. Etwa zur gleichen Zeit wüteten im Mittelmeerraum infolge von Dürren Waldbrände von gewaltigem Ausmaß. Ob jedes einzelne dieser Ereignisse in direktem Zusammenhang zum Klimawandel steht, kann niemand zweifelsfrei sagen. Was aber als sicher gilt, ist, dass die Gefahr solcher Extremwetterlagen mit jedem zehntel Grad zunehmen wird, um das der Planet wärmer wird. Umso wichtiger wird es zum einen werden, solche Katastrophen frühzeitig vorauszusagen, die betroffenen Menschen zu warnen und Gegenmaßnahmen einzuleiten. Um die richtigen politischen Rezepte im Kampf gegen die Erhitzung der Erde zu identifizieren, ist es zum anderen notwendig, das globale Klimasystem besser zu verstehen.

Digitale Entscheidungshilfe

Bei beidem kann die Weltraumtechnik helfen, sagte Joseph Aschbacher, Generaldirektor der Europäischen Weltraumagentur ESA, gestern auf der Konferenz „New Space Europe“ in Esch/Alzette. „Wir machen aktuell schon eine ganze Menge in diesem Bereich, zum Beispiel durch satellitengestützte Erdbeobachtung. Aber in Zukunft werden wir eine ganze Menge mehr machen“, sagt er. Eine Idee, an der die ESA arbeitet, ist das Konzept eines „digitalen Zwillings“ der Erde. Damit ist eine gewaltige Computersimulation des gesamten Ökosystems der Erde gemeint. Dieses Modell soll beständig gefüttert werden mit Daten aus verschiedenen Quellen wie Satelliten, Sensoren oder Drohnen.

Künstliche Intelligenz soll zum Beispiel helfen vorauszusagen, welche Folgen bestimmte Maßnahmen auf globaler und lokaler Ebene haben werden oder welche Regionen besonders durch Extremwetterlagen gefährdet sind. „Die Regierungen der Welt müssen in den nächsten Jahren zahlreiche wichtige Entscheidungen fällen. Viele Länder wollen bis 2050 kohlenstoffneutral sein. Dazu müssen sie ihre Energieversorgung umstellen, das Transportsystem, die Land- und die Forstwirtschaft“, sagt Aschbacher. „Darum müssen wir verstehen, was die intelligentesten Entscheidungen sind, um eine klimaneutrale Wirtschaft aufzubauen, aber auch was deren gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen sind.“ Das alles soll mit dem Digitalen Zwilling simuliert werden können. Die Idee hat als „Destination Earth“ inzwischen auch Einzug in den Green Deal der Europäischen Kommission gehalten.

Mit diesem Herbst hat die ESA nun den Auftrag der Kommission erhalten, die Initiative zusammen mit Partnern in den nächsten sieben bis zehn Jahren umzusetzen. Die Wissenschaftler der ESA haben unter anderem bereits eine Simulation der Eisdecke in der Antarktis umgesetzt, die berechnet, wie sich verschiedene Erwärmungsszenarien auf den Anstieg des Meeresspiegels auswirken. Weitere Modelle existieren zu den Ozeanen, Wäldern, der Wasserwirtschaft oder der globalen Landwirtschaft. Sie sollen zum Beispiel Informationen dazu liefern, wie sich extreme Trockenheit oder Niederschläge auf die Ernten auswirken oder wo vermehrt Überschwemmungen und Erdrutsche drohen. Diese Digitalen Zwillinge werden ständig aktualisiert mit Daten aus der Erdbeobachtung. „Man kann daraus natürlich auch Schlüsse für einzelne Länder ziehen. Was bedeutet der Anstieg des Meeresspiegels für die Küsten Deutschlands oder Hollands? Welche Menschen und Regionen sind in Gefahr? Was bedeutet das für die Landwirtschaft? Kommen bestimmte Anbaukulturen besser mit den neuen Bedingungen zurecht?“, sagte Aschbacher dem „Luxemburger Wort.“

Chancen für Luxemburger Firmen

Zunächst stützt sich das Programm vor allem auf eigene Erdbeobachtungsdaten der ESA. „Wir werden aber sicher auch kommerzielle Daten von Diensten einzubeziehen“, so der ESA-Chef. Daher könnte auch die Luxemburger Weltraumindustrie einen wichtigen Beitrag zu diesem Projekt leisten, ist Thomas Kallstenius, der CEO des Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST), überzeugt. „In Luxemburg gibt es in diesem Bereich nicht nur SES als etabliertes Unternehmen, sondern auch eine ganze Menge Start-ups und Scale-Ups, die davon profitieren könnten“, sagt er. „Als datengetriebene Gesellschaft kann das Land in so einem Projekt seine Stärken ausspielen.“

So ging im Dezember 2020 das Start-up Wasdi aus einem Forschungsprojekt des LIST hervor. Die Technologie der Firma erlaubt es, aus Satellitendaten präzise Karten von Flutgebieten zu erstellen. Das junge Unternehmen arbeitet unter anderem mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen und der Weltbank zusammen. Das Start-up Databourg aus Belval hat eine Technologie entwickelt, die anhand der Übertragungsqualität von Satellitenverbindungen Hochwasser vorhersehen kann.

THOMAS KLEIN

 

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