Der Digitale Zwilling der Gewerbezone

Simulationen von Luxemburger Industrieprojekten sollen helfen, teure Fehlschläge zu vermeiden

Source : Luxemburger Wort
Publication date : 03/31/2022

 

2016 brachte der damalige Wirtschaftsminister Etienne Schneider von einer Wirtschaftsmission nach Kalifornien die frohe Kunde mit, dass der Internetgigant Google bald ein Datenzentrum in Luxemburg errichten würde. Das ist jetzt bald sechs Jahre her und noch immer ist nicht abzusehen, wann das Projekt endlich die letzte administrative Hürde nehmen könnte. Gegen das Vorhaben wurden etwa 170 Einsprüche eingelegt. Zu viele Fragen waren offen: Wie viel Strom verbraucht ein solches Datenzentrum? Wie viel Wasser benötigt es zur Kühlung? Sind die Abflusskanäle für solche Wassermengen ausgelegt? Reichen dann die Rückhaltebecken oder besteht bei Starkregen die Gefahr von Hochwasser? Wie ist die Geräuschbelastung für die Anwohner?

Mit jedem Monat, der vergeht, um diese Fragen zu beantworten, steigt die Gefahr, dass der Investor die Nerven verliert und abspringt. So geschehen beim griechischen Joghurt-Produzenten Fage, der sein Vorhaben, eine Fabrik im Süden Luxemburgs aufzubauen, 2020 beerdigt hat. Dass diese Schwierigkeit bei industriellen Ansiedlungsprojekten keine Luxemburger Spezialität ist, zeigt sich gerade beim Tesla-Werk in Ostdeutschland, wo aktuell Klagen von Umweltverbänden aufgrund des vermuteten Wasserverbrauchs laufen.

In der Industrie weit verbreitet

Wenn solche Großprojekte scheitern, gehen häufig nicht nur viel Zeit und Geld, sondern auch Ansehen verloren. Um das zu vermeiden, könnte die „Digital Twin“-Technologie helfen. Diese komplexen Computersimulationen kommen in der Industrie bereits flächendeckend zum Einsatz. Zum Beispiel erstellen Ingenieure einen solchen digitalen Zwilling einer Turbine, um errechnen zu können, welchen Belastungen sie standhält oder wann bestimmte Komponenten ausgetauscht werden müssen. Von vielen Fabriken existieren Digital Twins, damit der Werkleiter am Bildschirm erkennen kann, wo noch Optimierungspotenzial ist.

„Dabei geht es darum, alle wichtigen Informationen und alle relevanten Variablen zusammenzubringen, um ein Gesamtbild zu erhalten. Ein digitaler Zwilling kann aber auch dabei helfen, etwas zu visualisieren. Um alle relevanten Aspekte eines Sachverhalts vollständig zu erfassen und die richtigen Entscheidungen zu treffen, hilft so ein digitales Modell oft besser als Akten oder Gutachten zu studieren“, sagt Thomas Kallstenius, der Direktor des Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST). Schon vor zwei Jahren schlug der Physiker als langfristige Vision vor, einen digitalen Zwilling Luxemburgs zu schaffen, um politische und wirtschaftliche Entscheidungen verbessern zu helfen, indem deren Folgewirkungen digital simuliert werden. Ein idealer Startpunkt für ein solches Großvorhaben wären für Kallstenius Industriezonen. „Anstatt zu versuchen, das gleich für das ganze Land zu machen, sollten wir mit bestimmten Bereichen anfangen, wo man einen sofortigen Mehrwert erzielen könnte und bei denen man die Komplexität leichter erfassen und im Detail analysieren könnte“, so Thomas Kallstenius. Derzeit sei man unter anderem mit dem Wirtschaftsministerium auf der Suche nach geeigneten Standorten für ein solches Projekt. Steht erstmal der digitale Zwilling einer solchen Industriezone, kann modelliert werden, wie sich zum Beispiel eine Neuansiedlung auf das Stromnetz und den Stromverbrauch, den Wasserverbrauch und das lokale Verkehrsaufkommen auswirken wird. „Ein Digital Twin kann auch dabei helfen, solche Industriezonen nachhaltiger zu gestalten, zum Beispiel, indem man modelliert, wie man sie anlegen müsste, um einen Materialkreislauf im Sinne der Circular Economy aufzubauen“, so Kallstenius. „Der Krieg in der Ukraine hat gezeigt, wie komplex es ist, ein sauberes, sicheres und widerstandsfähiges Energiesystem zu schaffen, das in Zukunft stärker auf erneuerbare Energiequellen angewiesen ist“, fährt er fort.

Pilotprojekt in Belval

Um eine Vorstellung zu bekommen, wie ein solches Projekt aussehen könnte, hat das LIST einen Digitalen Zwilling vom Campus Belval erstellt. Dabei hatten die Wissenschaftler Unterstützung von dem schweizerisch-luxemburgischen Start-up Nomoko, das auf die Erstellung digitaler Zwillinge spezialisiert ist. Mithilfe von Drohnen erzeugte das Unternehmen ein dreidimensionales Modell von Belval mit einer Auflösung von zwei Zentimetern, das dann mit anderen Daten angereichert wurde. „Wir können zum Beispiel die Geräuschentwicklung simulieren oder wie der Schatten zu jeder Tageszeit fällt. Dadurch sehen wir, was die besten Stellen für Solaranlagen sind. Wir können aber auch in die Zukunft blicken und visualisieren, wie sich bestimmte Bauvorhaben auf das Gesamtbild auswirken“, so Kallstenius.

Nomoko hat bereits im Auftrag einer Schweizer Gemeinde einen digitalen Zwilling aufgebaut, erklärt Vincent Pedrini, einer der Gründer des Start-ups. „Die Bürger konnten so im Vorfeld sehen, welche Auswirkungen neue Bauprojekte auf die Umgebung haben werden. Man kann den Lärm simulieren, zeigen, wie der Schatten fällt oder auch, wohin man zum Beispiel vom fünften Stock eines neuen Gebäudes schauen kann“, so der Luxemburger. Das sei auch wichtig, um die Akzeptanz der Anwohner für solche Vorhaben zu erhöhen.

Als Kunden für sein Unternehmen sieht er daher vor allem zunächst Projektentwickler im Immobilienbereich, Architekten und Gemeinden; die Technologie sei aber auch interessant für Anbieter von selbstfahrenden Autos oder Telekomanbieter, die simulieren wollen, wie zum Beispiel die Verfügbarkeit von 5G-Signalen in Wohngebieten ist. Der digitale Zwilling von Belval war das erste Vorhaben, das das Start-up in Luxemburg gemacht hat. Weitere sollen folgen. Die Niederlassung im Großherzogtum soll der Ausgangspunkt für die EU-Expansion des Unternehmens sein.

THOMAS KLEIN

 

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